132
[103/104]
bens, der Frühling seines Werdens und Wachsens. Das Licht leuchtet aus
der Finsternis, das Licht leuchtet aus der Seele des Freundes in die Seele
des Gefreundeten.
Was liegt aber in diesem gegenseitigen Verhältnis des Ernährens und
Erleuchtens? Nichts weniger als das, daß jeder geistige Akt eines jeden in
B e z u g n a h m e auf den anderen Geist allein geschieht und allein
geschehen, allein Dasein annehmen k a n n . „Freundschaft“ — von der
persönlichen Liebe der Freunde zueinander sehen wir hier sogar ab, wir
betrachten die Freundschaft hier nur als den Inbegriff des objektiven
geistigen Geschehens, das sich in ihr verwirklicht — Freundschaft ist hier
nichts anderes denn geistige Gegenseitigkeit in der Bedeutung als
wesenhafter Lebensform jedes einzelnen Geistes. Das wäre keine
Freundschaft, wenn der Musiker auch nur einen Ton empfände und
gestaltete, ohne ihn zugleich im Hinblick auf den Gefreundeten zu
gestalten, indem er voraus fühlt, wie er das neu Gewußte und Geschaffene
dem Freunde zeigen und es an ihm erproben werde; und ebenso wird
umgekehrt der Maler nichts malen und schön entwerfen im Kunstwerk,
was nicht den Unterton der Beziehung zum Freunde hätte.
B. Die A u f l ö s u n g d e r F r e u n d s c h a f t
Noch klarer wird der ganze Sachverhalt, wenn wir gleichsam den
Beweis aus dem Gegenteile führen und die Folgen einer Auflösung der
Freundschaft betrachten. Wenn einer der Freunde stürbe, so würde dem
Zurückgebliebenen die Welt schal und leer, wüst und öde. Wieder wollen
wir von den persönlichen Gefühlen der Trauer und der nun gleichsam
entgründeten Liebe absehen und nur das Objektiv-Geistige, das in dieser
Freundschaft lag, ins Auge fassen. Schal und leer wird dem Freunde die
Welt nun aus ganz sachlichen Gründen. Es ist nichts mehr da, was ihm
Anteilnahme („Interesse“) abgewönne, in ihm wird nichts mehr
aufgeweckt, weil das erwek- kende Schaffen des andern fehlt; und er selbst
schafft nichts, weil er niemanden hat, dem er das Geschaffene zeigen
könnte, von dem er sich Bekräftigung, Hilfe und Ansporn zu holen
vermöchte. Das Licht des Gefreundeten aus / der Finsternis leuchtet nicht
mehr, und so erlischt auch jenes Leuchten, das im Zurückgebliebenen sei-