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das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es alles seinem eigenen Innern

verdanken wollte. Das begreifen aber sehr viele gute Menschen nicht und tappen mit ihren

Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dunkeln. Ich habe Künstler gekannt, die sich

rühmten, keinem Meister gefolgt zu sein, vielmehr alles ihrem eigenen Genie zu danken

haben. Die Narren! Als ob das überall anginge! Und als ob sich die Welt ihnen nicht bei

jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz ihrer eigenen Dummheit, etwas machte! Ja, ich

behaupte, wenn ein solcher Künstler nur an den Wänden dieses Zimmers vorüberginge und

auf die Handzeichnungen einiger großer Meister, womit ich sie behängt habe, nur flüchtige

Blicke würfe, er müßte, wenn er überall einiges Genie hätte, als ein anderer und Höherer

von hier gehen.“

Soziologisch gefaßt darf man sagen, daß hier Goethe jeden Begriff von

Selbstwüchsigkeit, und wenn sie auch nur in der Form von Pochen auf

Originalität auftritt, als N a r r h e i t bezeichnet. Ähnlich im Faust:

„Original fahr’ hin in deiner Pracht.“ Ebenso Grillparzer: „Ist der Verstand

doch ewig e i n s — In allen, die da sind und je wurden! — Doch

Eigentümlichkeit hat breiten Platz — Im ganz Verkehrten und

Absurden.“

Die Gemeinschaft Fichtes und Schellings in Jena hat viel bedeutet. Und

was gar der J e n e n s e r K r e i s 1798—1800 für die Entstehung der

Romantik gewesen ist, läßt sich gar nicht hoch genug veranschlagen. Als

dort Schelling, die beiden Schlegel, Karoline, Novalis, Tieck, Steffens,

Gries und andere in lebensprühender Gemeinschaft beisammen waren —

dazu im Hintergrunde Fichte, Goethe, Schiller —, da entstand jenes

unfaßlich große Wunder der schon in Aufklärertum, Individualismus,

politischen Liberalismus und Empirismus versunkenen Welt, das, als die

„Künstlerschule“ der Romantik geboren, zur größten Kulturbewegung des

Abendlandes seit dem Mittelalter wurde.

Freilich ist kein Mensch, und am wenigsten sind die großen Männer

allein darauf angewiesen, in der Gegenwart der großen, ihnen gemäßen

Seele zu begegnen. Es ist wie ein unfaßbares Wunder und das größte

Geschenk an den Menschen, daß er auch mit den G e i s t e r n / d e r

V o r z e i t lebendig verkehren kann. Sie sprechen zu uns in ihren

Schriften, Bildern, Tönen, Bauten und Werken. Es bleibt jedem frei, diese

Geister zu rufen und jene geistigen Kräfte aus der Vorzeit zu beschwören,

die wecken, was in ihm verborgen schlummert.