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lichkeit, das Geistige seiner Führer- und Herrscherstellung, den Kindern
das Geistige ihrer vertrauenden, gehorsamen Stellung; diese Ganzheit gibt
dann allen jene Liebe, die in ihr als konstitutive Forderung liegt. Machen
wir uns dies an dem Verhältnis von Mutter und Kind näher klar. Dieses
Verhältnis ist in seinem Innersten nicht durch die mechanische
Handreichung, die bloß nothafte, nützliche Hilfeleistung bezeichnet
(wenn das der Fall wäre, könnte man die Mutter durch einen Automaten
ersetzen, und das Verhältnis wäre rein individualistisch zu deuten);
wesentlich ist vielmehr das rein geistige Gegenseitigkeitsverhältnis, das
über dem Nothaften darinnen gelegen ist. Zuerst die Mutter ins Auge
gefaßt, besteht das geistige Verhältnis darin, daß die Mutter jene
fürsorgende, nie versagende, bedingungslose Liebe, die „Mütterlichkeit“,
empfindet. Man darf hier sagen: Das K i n d s c h a f f t d i e
M ü t t e r l i c h - / k e i t; denn jene eigenartigen Gefühle, jene
Ausbildung des geistigen Wesens, die aus der Frau eine Mutter machen, ist
nur dadurch möglich, daß das Kind als geistiges Gegenglied gewirkt hat.
Diese Umbildung von der Frau zur Mutter schafft der Strahl, der von dem
Gemüt des Kindes ausgeht und das Gemüt der Mutter zu jener Rührung, zu
jener neuen Empfindung bringt, aus der die Seele umgeändert hervorgeht.
Das Kind winkt und lockt und spricht sein Wort so lange, bis das Werk
vollendet ist. — Dabei sind der seelenwissenschaftliche (psychologische)
und der gesellschaftswissenschaftliche (soziologische) Befund streng zu
trennen. Ob Mütterlichkeit seelenwissenschaftlich als „Instinkt“, „Trieb“,
„versteckter Egoismus“ oder was immer zu erklären sei — das geben wir
alles preis, es geht uns als Gesellschaftsforscher gar nichts an. Wesentlich
für uns ist lediglich, daß diese seelischen Inhalte, wie überhaupt alles, was
in uns an Geistigkeit beschlossen liegt, nur möglich ist durch das
Verhältnis, das wir geistige „Gemeinschaft“ oder „Gezweiung“ nennen,
durch das Anstrahlen, das von außen, von einem andern Geist her in den
eigenen Geist hineinkommt. Dann zeigt sich, daß es das Kind ist, das die
Mutter schafft.
Nun das umgekehrte Verhältnis, das des Kindes zur Mutter. Was hat das
Kind von seiner Mutter? Nicht mechanische Hilfe und Anweisungen sind
auch hier das Wesentliche. Wer eine Mutter hat, der nimmt Eines in das
Leben mit, das ist das Bewußtsein des unbedingten Anhängens und
Zugehörens, einer unbegrenzten Güte, wie wir