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F. Der B u d d h i s m u s
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Der Buddhismus ist vor allem die Reli- / gion der Abgeschieden-
heit und darum allein die Religion einer Mönchsgemeinde. Wer
nicht einem Mönchsorden angehört, ist nicht eigentlich Buddhist,
auch wenn er an Buddha und seine Lehre glaubt; denn die Lehre
Buddhas läßt sich eben nur in Abgeschiedenheit erfüllen und be-
greifen. Erbettelte Nahrung, karg bemessene Kleidung, Arznei und
als viertes „Sitzgelegenheit“ — mehr steht ihm nicht zu. Die
Mönchsgemeinde darf auch kein Haus besitzen; während der Haupt-
zeit des Jahres wandert der Mönch obdachlos umher. Darum sagt
Buddha vom Mönche: „Gleichwie da etwa ein beschwingter Vogel,
wohin er auch fliegt, nur mit der Last seiner Federn fliegt, ebenso
ist auch ein Mönch mit dem Gewande zufrieden, das seinen Leib
deckt, mit der Almosenspeise, die sein Leben fristet.“ Und der Mei-
ster fährt fort:
„Durch die Erfüllung dieser heiligen Tugendsatzung empfindet er ein inneres
fleckenloses Glück.
Erblickt er nun mit dem Gesichte eine Form, erkennt er mit dem Gedanken
ein Ding, so faßt er keine Neigung, keine Absicht. Da Begierde und Mißmut,
böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Ge-
sichtes, unbewachten Gedenkens verweilt, so hütet er das Gesicht, hütet er das
Gedenken, er wacht eifrig über beides ...
Klar bewußt kommt und geht er, blickt hin, blickt weg. Klar bewußt regt
und bewegt er sich ...
Treu dieser heiligen Tugendsatzung, treu dieser heiligen Sinnenzügelung,
treu dieser heiligen klaren Einsicht sucht er einen abgelegenen Ruheplatz
auf. .. Nach dem Mahle, wenn er vom Almosengang zurückgekehrt ist, setzt
er sich mit gekreuzten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegt
der Einsicht. Er hat weltliche Begierde verworfen; voll Liebe und Mitleid zu
allen lebenden Wesen läutert er sein Herz von Gehässigkeit; das Licht liebend,
einsichtig, klar bewußt läutert er sein Herz von matter Müde; innig beruhigten
Gemütes ist er frei von Stolz, der Ungewißheit ist er entronnen: er zweifelt nicht
am Guten, vom Schwanken läutert er sein Herz.“ Damit hat er die erste Stufe
der Abgeschiedenheit (Meditation, Schauung) erreicht. Er lebt „in sinnend
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Von den Quellen sei als die wichtigste hervorgehoben: Die Reden Gotamo
Buddhos aus der mittleren Sammlung Majjkimanikayo des Pali-Kanons, über-
setzt von Karl Eugen Neumann, 3 Bde, München 1919; Die letzten Tage Gotamo
Buddhos, übersetzt von Karl Eugen Neumann, München 1911. — Von dem zahl-
losen Schrifttum sei besonders hervorgehoben: Hermann Beckh: Buddhismus,
Buddha und seine Lehre, 2 Bde, 2. Aufl., Berlin 1919 [3. Aufl., Berlin 1928]
(= Sammlung Göschen, Bd 174 und 770), die beste Einführung. Ferner Her-
mann Oldenberg: Buddha, Sein Sohn, seine Lehre, seine Gemeinde (1881), 7. Aufl.,
Stuttgart 1919.