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III.
Das Verhältnis von Abgeschiedenheit und Gezweiung
Dieses Verhältnis ist durch den Vorrang der Abgeschiedenheit
bezeichnet. Es gilt der Satz: A b g e s c h i e d e n h e i t g e h t v o r
G e z w e i u n g . — In der zeitlichen Ordnung muß zwar die Ge-
zweiung zum Behufe der Ausbildung des menschlichen Geistes vor-
angehen, dem Wesen der Sache nach ist die Gegründetheit des Gei-
stes in der höchsten Mitte Voraussetzung für die Gezweiung in den
unteren Stufen.
Dem Vorrange der Abgeschiedenheit entspricht der Vorrang des
Religiösen und Metaphysischen vor allen anderen Geistesinhalten
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IV. Rückblick
Unsere kurze Darstellung hat ergeben, daß das Lehrstück von der
Abgeschiedenheit für die Gesellschaftslehre unentbehrlich ist. Dies
schon deswegen, weil es geschichtliche Bewegungen, die im Kultur-
leben eine großartige Rolle gespielt haben und immer spielen wer-
den, in ihrer gesellschaftlichen Wesenheit erkennen lehrt; ferner
deswegen, weil es klar macht, daß zu jeder Zeit alle drei Grund-
sätze, die Einzelheitslehre, die Ganzheitslehre und die Abgeschie-
denheitslehre, als Lebensmächte wirksam sind (womit freilich nicht
gesagt sein will, daß der Einzelheitslehre in dem Sinne Wahrheit
zukäme, daß man nach ihr je die Gesellschaft einrichten könne).
Endlich aber zeigt unser Lehrstück auch, wie es d i e s e l b e
bildende Wesenheit ist, die in der Gesellschaft auf universalistische
Weise herrscht und in einsiedlerischen Zuständen auf abgeschiedene
Weise wieder erscheint — die Gemeinschaft als Menschen- und als
Gottesgemeinschaft, als Gezweiung und als Übergezweiung. Auch
die individualistische Lehre kann trotz ihrer zerstörenden Wirkun-
gen in keiner Zeit und Gesellschaft gänzlich fehlen. Kann ja auch
kein Organismus, selbst der blühende und wachsende nicht, wenig-
stens ohne kleine und örtliche Erkrankung und Entartung leben;
daher es verständlich wird, daß die individualistische Lehre in Zei-
ten der Entartung die Oberherrschaft erhält, wie im Griechenland
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Siehe unten S. 426 f.