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sche Wirksamkeit (z. B. von Lust- und Unlustgefühlen) erschei-
nen läßt;
(2)
aber die Vernünftigkeit oder Unvernünftigkeit des Han-
delns nach seinen eigenen ideellen Voraussetzungen.
In ersterer Hinsicht (naturkausal) haben wir in der Vernunft vor
uns ein Vermögen, welches mit seinen subjektiven Bestimmungs-
gründen von Lust und Unlust als dem Mechanismus der N a t u r -
ursachen seiner Handlungen in Verbindung steht; in letzterer Hin-
sicht haben wir vor uns ein solches Vermögen, welches objektive,
rein vernünftige Gründe, die bloße Ideen sind, kennt. D i e s e
B e z i e h u n g a u f d i e i d e e l l e n V e r n u n f t g r ü n d e
h e i ß t S o l l e n
1
. Indem die Vernunft sollend wird, wird sie
praktische Vernunft — eine Vernunft also, die aus I d e e n grün-
den, aus Gültigkeit der Gründe heraus, nicht aus N a t u r gründen
handeln will. Weil sie aus verbindlichen Ideengründen handeln will,
heißt sie praktische Ve r n u n f t , aus Lust- und Unlustursachen
handelnd wäre sie praktische B e g i e r d e , das heißt naturhaftes
Wollen. Theoretische Vernunft als ideell sollende heißt daher sitt-
liche oder praktische Vernunft. Sollend ist die Vernunft durch Frei-
heit, durch Beziehung auf objektive Vernunftgründe, also durch
Selbstbestimmung, Autonomie. Die Unterwerfung unter die psycho-
logischen Naturursachen ergibt eine äußerliche, also nicht auto-
nome, sondern „heteronome“ Notwendigkeit: Determination —
Unfreiheit. Das empirische Handeln ist stets ursächlich bestimmt,
also nicht frei; als g e s o l l t e s H a n d e l n b e t r a c h t e t
a b e r h a t e s F r e i h e i t a n s i c h , denn als solches ist es aus
logischen, objektiven Vernunftgründen heraus bestimmt. So ist
Kant zu verstehen, wenn er sagt: „Alle Handlungen... in irgend-
einer Erfahrung angetroffen ... stehen unter der Naturnotwendig-
keit; eben dieselben Handlungen aber, bloß respektive (= im Hin-
blick) auf das ... Vermögen, nach bloßer Vernunft zu handeln, sind
frei.“
2
Die theoretische Vernunft wird praktisch durch die bloße Vor-
stellung der gültigen Gründe, das ist eines Gesetzes; sie läßt sich also
ideell von ihrem eigenen Gesetz bestimmen. Daher ist das morali-
1
Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die
als Wissenschaft wird auftreten können, Riga 1783, S. 113.
2
Kant: Prolegomena ... S. 114.
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