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II.
Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling,
Georg Wilhelm Friedrich Flegel
Einen andern Anfang nimmt die Philosophie bei Fichte. Fichte
stellt die Spontaneität des Bewußtseins an die Spitze. Das Ich ist
„Spontaneität der Apperzeption“ schlechthin, reine Tätigkeit, und
dies ist die Bedeutung des berühmten Satzes, mit dem Fichte seine
Philosophie beginnt: Das Ich setzt sich selbst. Das heißt natürlich
nicht, daß das Individuum sich selbst in die Welt setze, indem es
auf einmal durch einen Akt des Tuns gewappnet aus sich selbst ent-
springt wie die Athene aus dem Haupte des Zeus.
Es heißt zunächst nur, daß das Bewußtsein grundsätzlich und fort-
dauernd auf einer spontanen Tat, auf der inneren Spannkraft des
Wollens, beruht, daß das Bewußtsein kein fait accompli, kein Fer-
tiges ist, sondern etwas, das getan werden muß, um stets aufs neue
vollzogen zu werden. In diesem Sinne also ist das Ich seinem Wesen
nach Tätigkeit, Aktivität, daher: Selbstsetzung. Es setzt sein eigenes
Sein und umgekehrt: das Sein des Ich ist dessen eigene Tat.
Dieser Satz mag für unsere, an die mechanistische Assoziationspsychologie
gewöhnte Vorstellungsweise befremdlich klingen. Tatsächlich war er weder da-
mals neu, noch ist er seit Kant je aus der deutschen Philosophie gewichen. Schel-
ling hat den Begriff des Bewußtseins grundsätzlich auf gleiche Weise entwickelt,
ebenso Hegel, ebenso alle Vertreter des deutschen Idealismus.
Wird aber das Ich schon ursprünglich als Tätigkeit schlechthin be-
trachtet, so ist es von der Wurzel aus praktischer Natur. Das prak-
tische Ich wird der Grund des theoretischen, des erkennenden Ich.
Mit dem / Primat der praktischen Vernunft wird nun gründlich
Ernst gemacht. In diesem Sinne konnte sich Fichte mit vollem Recht
als strenger Kantianer bezeichnen.
Für uns entsteht nun die Frage, was der Fichtesche Ichbegriff ge-
sellschaftstheoretisch bedeutet. Das ergibt sich aus der vollen Ablei-
tung des Ich, obwohl sie zunächst nur erkenntnistheoretischer Natur
ist.
Kann das Ich als actus purus, als Tätigkeit, Wollen, sich selbst set-
zen? Die Antwort muß lauten: Nein. Denn zur Tätigkeit gehört
ein Gegenstand, auf den sie geht, zum Wollen ein Objekt; die
Tätigkeit, das Wollen, kann also nicht entstehen, ohne auf ein
Objekt zu gehen. Man kann nur wollen, wenn man e t w a s will.