Previous Page  262 / 749 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 262 / 749 Next Page
Page Background

262

[214/215]

Um aber e t w a s zu wollen, das heißt um das Objekt des Wollens

im Geiste vorzufinden, muß schon Bewußtsein da sein, denn man

muß das Objekt schon im Bewußtsein haben (anders ausgedrückt:

schon gesetzt haben). Ist also das Ich: Wollen, das Wollen: bewußtes

Haben eines Objektes; Objekt-Haben aber selber: Wollen —, so

führt jedes Wollen auf ein früheres Bewußtsein, oder, da dieses auch

Wollen ist, schärfer gesagt: auf ein früheres Wollen. So führt jeder

Punkt des Bewußtseins auf einen früheren zurück.

Diese Untersuchung mündet in die Frage aus: wie kann das Wol-

len (das Ich als Tätigkeit), das immer schon ein Objekt haben muß,

entspringen, n o c h b e v o r e s d a s O b j e k t h a t ? Wie

kommt man aus diesem Zirkel heraus? Fichte antwortet: nur dann,

wenn wir uns das erste Objekt, das erste Bestimmtsein des Men-

schen denken als „ B e s t i m m t s e i n z u r S e l b s t b e s t i m -

m u n g“

1

. Es muß eine Aufforderung an das Ich herantreten,

ein Antreiben, denn nur dieses kann das Ich über den ersten toten

Punkt hinausbringen. Dieses Anfeuernde, Auferweckende kann nur

eine menschliche Intelligenz selbst sein, der a n d e r e M e n s c h .

Hören wir darüber Fichte selbst. Er sagt:

„Sollen überhaupt Menschen sein, so müssen mehrere sein . . . Dies ist nicht

eine ... auf . . . . Erfahrung ... aufgebaute Meinung, sondern es ist eine aus dem

Begriff des Menschen streng zu erweisende Wahrheit. Sobald man diesen Begriff

vollkommen bestimmt, wird man von dem Denken eines einzelnen aus getrie-

ben zur Annahme eines zweiten, um den ersten erklären zu können ... Die Auf-

forderung zur Selbsttätigkeit ist das, was man Erziehung nennt.“

2

„Nur freie /

Wechselwirkung durch Begriffe und nach Begriffen, nur Geben und Empfangen

von Erkenntnissen, ist der eigentümliche Charakter der Menschheit, durch welchen

allein jede Person sich als Menschen unwidersprechlich erhärtet.“

3

„Der Be-

griff der Individualität ist aufgezeigtermaßen ein W e c h s e l b e g r i f f , das ist

ein solcher, der nur in Beziehung auf ein anderes Denken gedacht werden kann,

und durch dasselbe, ... der Form nach, bedingt i s t . . . Er ist demnach nie m e i n ;

sondern ... m e i n u n d s e i n.“

4

1

Johann Gottlieb Fichte: Sämtliche Werke, herausgegeben von Immanuel

Hermann Fichte, 3 Abteilungen, 8 Bde, Bde 3 und 4: Zur Rechts- und Sittenlehre,

aus Bd 3: Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre

(1796), Berlin 1845, S. 33; Ausgabe Fritz Medicus, Bd II, Leipzig 1922, S. 37

(= Philosophische Bibliothek, Bd 128 a).

2

Fichte: Sämtliche Werke, Bd III: Grundlage des Naturrechts ... S. 39, Aus-

gabe Fritz Medicus, Bd II, S. 43.

3

Fichte: Sämtliche Werke, Bd III: Grundlage des Naturrechts... S. 40,

Ausgabe Fritz Medicus, Bd II, S. 44.

4

Fichte: Sämtliche Werke, Bd III: Grundlage des Naturrechts... S 47 ff.,

Ausgabe Fritz Medicus, Bd II, S. 51. — Vgl. jetzt Hans Riehls Einleitungen zu