322
[265/266]
Recht widerfahren. Denn Handeln folgt dem Geiste nicht bloß
nach, es hat auch eine eigene Würde: als Ausdruck des Geistigen,
das heißt aber: als seine E n t f a l t u n g , V o l l e n d u n g . Erst
im gesprochenen Worte ist der Gedanke ganz geformt, erst im ge-
malten Bilde der Einfall des Künstlers ganz ausgearbeitet, ganz kon-
kretisiert.
/
Auch tritt schon in der Stellung der bloßen Dienstbarkeit des
Handelns sofort eine Umkehrung des Verhältnisses beider ein: das
Handeln stellt Kenntnisse in seinen D i e n s t , benützt sie, macht
sie zu Mitteln oder Werkzeugen; es wird ja durch die Benützung
solcher erst zum „Können“. In diesem Verhältnis wird das Handeln
zum Herrschenden, und es schaltet mit der Welt der Empfindungen
und des Wissens wie mit einer Rüstkammer. („Wissen ist Macht.“)
In diesem Schalten mit der Welt des Wissens liegt etwas Auf-
bauendes, Gestaltendes für unseren Geist. Eine bildende Kraft
kommt im Handeln zur bloßen Welt der Empfindung hinzu. Die
Handlung selbst wird ein Gestaltendes in uns. Daher lernen wir uns
im Handeln selbst erst ganz kennen. Erst in der Gefahr zeigt sich
der Held. Ein altes Wort sagt: fabricando fabricamur, gestaltend
werden wir gestaltet.
Was hier geschieht, ist dasselbe wie in der Gezweiung. Ich als Handelnder
gezweie mich in mir selber und stelle mir, als Handelndem, den ganzen Schatz
meines Geistes gegenüber, der dadurch auferweckt, berichtigt, weitergebildet wird.
D a r u m e r s c h ö p f t d i e A n s i c h t , i m H a n d e l n w e r d e d i e
S u m m e u n s e r e r W i l l e n s k r ä f t e a u s g e b i l d e t , d i e W i r k s a m -
k e i t d e s H a n d e l n s n i c h t . Handeln bildet und gestaltet auch unsere
ganze Geisteswelt. Erst so entsteht ja „Charakter“ — nicht als eine leerlaufende
Maschine der Willensstärke, sondern als zur Schaffenskraft nach außen hin erho-
bene Empfindung, als Empfinden und Wissen, das g e l e b t wird.
Hiermit ist aber das Verhältnis von Geist und Handeln noch immer nicht
in der letzten Tiefe erfaßt.
Gehen wir ganz auf den Grund, so stoßen wir auf eine letzte E i n h e i t
von Wissen und Wirken, die aber doch nicht beiden eine gleiche Stellung ein-
räumt. Die deutsche klassische Philosophie von Kant, Fichte, Schelling, Hegel,
Baader bis zu den letzten Nachfolgern hat in Übereinstimmung dargetan und
daran durch alle Systemverschiedenheit festgehalten: daß jede seelische Regung,
welcher Art sie immer sei, den Grundcharakter von T ä t i g k e i t , von Aktivität
habe. Dies ist der Sinn des nie aufgegebenen und ewig wahren Fichteschen
Satzes: „ D a s I c h s e t z t s i c h s e l b s t “ , der nichts anderes besagt, als was
auch schon im Begriff der transzendentalen Apperzeption Kantens liegt. Selbst-
setzung, eigene, urentsprungene Aktivität ist das Wesen des Ich, das Wesen des
Geistigen, das Wesen jeder seelischen Erscheinung überhaupt. — Die Frage ist,
in welchem Sinne diese Urtätigkeit (Uraktivität) sich in zwei Tätigkeitsweisen