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der bloß schauende Mensch kein voller, kein zum ganzen Leben er-
wachender, sich entfaltender Mensch.
„Wo nur das Wissen herrscht, ist Totenstille.
Laut und lebendig macht die Welt der Wille.“
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Das Ideal des schauenden Menschen, wie wir es bei den Alten und
in der brahmanischen Philosophie finden, ist kein Widerspruch zu
der dargelegten Ansicht vom Handeln als Element der Selbstentfal- /
tung. Der Schauende muß durch die volle Entfaltung hindurch-
gegangen sein, die das Handeln gewährt. Höchstes Wissen ist daher
Gestaltung unserer Innerlichkeit zum Handeln, sofern dieses wie-
der zum lebendigen Wissen wird, sofern es dem W e s e n des Men-
schen angehört. Empfindung geht zuletzt nicht auf Handlung aus,
sondern nur wieder auf Empfindung. Unmittelbar ist aber diese
Selbstentfaltung der Empfindung nicht möglich; dazu dient die
Handlung, die wieder verlöscht, wenn das Ziel erreicht ist. Darum
ist der Satz: „Wissen macht gut“ im höchsten Sinne wahr — aber
auch nur in diesem höchsten Sinne der Verinnerlichung des Gewuß-
ten, das sich in Tun umsetzt. Freilich muß man erkennen, daß sich
nicht jedes Wissen gleicherweise in Tun umsetzt, und gerade das
höchste Wissen ein inneres Handeln bleiben kann und dann zu
einem schauenden Leben im höheren Sinne führt.
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Gustav Schwab