Previous Page  389 / 749 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 389 / 749 Next Page
Page Background

[321/322]

389

religiösen Entwicklung aller indogermanischen Völker voraus. Da-

neben war das Bestreben vorhanden, die indogermanische Mythen-

bildung an die Naturerscheinungen und den Sternenhimmel anzu-

knüpfen (meteorologische Richtung).

„Die Hoffnungen und Verheißungen der etymologischen Schule“, sagt Sam

Wide

1

, „haben sich nicht erfüllt, und hierzulande hat diese mythologische /

Richtung kaum einen einzigen namhaften Vertreter. Schon die verschiedenen

Resultate. . . haben kein Vertrauen zu ihrer Methode ergeben können: der eine

sucht im Regen, der andere im Sturm, der dritte im Morgen- und Abendrot die

Quelle der indogermanischen Mythenbildung, dieselbe göttliche Gestalt wurde

als Erde, Luft, Wolke, Mond gedeutet. Ein Grundfehler dieser Richtung lag

darin, daß sie gänzlich unhistorisch war . . . “

Daß die meteorologische Schule zur Erklärung der Religionen

nicht dienen kann, zeigt sich nicht nur in der Willkür bei der Deu-

tung der sachlichen Zusammenhänge (wie sie die angeführte Äuße-

rung Sam Wides richtig hervorhebt), es liegt vielmehr noch an

einem grundsätzlichen Mangel des Standpunktes. Die meteorologi-

sche Schule vergißt, daß die Deutung der Vorgänge am Sternen-

himmel als göttlicher (statt als natürlich-physikalischer) n o t w e n -

d i g R e l i g i o s i t ä t s c h o n v o r a u s s e t z t . Das Bewußt-

sein des Göttlichen, die Erklärung der Religiosität, muß daher

vor der Erklärung dieses Bewußtseins und vor seiner Anwen-

dung auf den Sternenhimmel stehen! Die Deutung des Sternen-

himmels kann nur dann religiös sein, wenn die Religiosität, wenn

der Urgrund des Glaubens schon da ist. Der Glaube wird im Herzen

getragen, er wird nicht vom Sternenhimmel abgelesen. Ist aber der

Glaube einmal da, dann freilich kann er auch in den Vorgängen

am Sternenhimmel einen Gegenstand finden. Und dann wird man

allerdings ein Körnchen Wahrheit in der meteorologischen Schule

anerkennen müssen. Man denke an die uralte A s t r o l o g i e ,

welche das irdische Geschick von den der Geburt vorstehenden

Gestirngottheiten abhängig macht, und an die philosophische Lehre

des Aristoteles von den Gestirngottheiten.

1

Sam Wide und Martin Paul Nilsson: Einleitung in die Altertumswissen-

schaft, herausgegeben von Alfred Gercke und Eduard Norden, Bd 2, Teil 4:

Abschnitt: Griechische Religion, 3. Aufl., Leipzig 1922, S. 270. — Vgl. dagegen

Otto Hausers Einleitung zu seiner vorzüglichen Übersetzung der Edda,

Weimar 1925.