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Gegensatze. Denn die Wesenserklärung alles Geistigen führt überall
zuletzt und unentrinnbar auf die im weitesten Sinne e m p i r i -
s t i s c h e oder auf die nichtempiristische, das ist i d e a l i s t i -
s c h e Auffassung.
Nun ist die neuzeitliche Religionssoziologie wie in methodologi-
scher Hinsicht durchaus individualistisch, so in philosophischer Hin-
sicht empiristisch eingestellt. Um die Auseinandersetzung zu er-
leichtern, gilt es, zuvor über ihre Lehren und Schulen einen Über-
blick zu gewinnen.
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I. Die Erklärungsarten der Religion nach individualistischer
und empiristischer Auffassung
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Das Wort „empiristisch“ wird hier wie früher im weitesten
Sinne gebraucht, so daß es alle Arten von Sensualismus, Relativis-
mus, Positivismus, Naturalismus und dergleichen umfaßt. Daß „em-
piristisch“ nicht mit „empirisch“ (auf Erfahrung beruhend) zu-
sammenfällt, daran haben wir schon oben erinnert. „Empirismus“
ist vielmehr eine E r k l ä r u n g der Erfahrung, nämlich die zu-
letzt auf wechselnde sinnliche Inhalte, auf „Sensualismus“ und
„Relativismus“ zurückgehende Erklärung; Idealismus, die auf das
Übersinnliche zurückgehende Erklärung („objektiver Idealismus“)
oder die auf das Apriorisch-Transzendentale zurückgehende Erklä-
rung („kritischer“, „subjektiver Idealismus“).
Die empiristischen Erklärungen der Religion haben, wie sich zei-
gen wird, alle den Fehler gemeinsam, nicht aus dem inneren Wesen,
sondern aus dem äußeren Hergange der Entstehung und den damit
gegebenen äußeren Erscheinungsformen (äußeren Erfahrungsbil-
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Aus dem ungeheuren Schrifttum zu diesem und zu dem folgenden Ab-
schnitt hebe ich nur hervor: Paul Wilhelm Schmidt: Der Ursprung des Gottes-
idee, Teil i: Historisch kritischer Teil, Münster 1912 [2. Aufl., Münster 1926],
in welchem vom Standpunkte der „kulturhistorischen Schule“ aus eine Bespre-
chung der gesamten einschlägigen Schriften empiristischer Richtung gegeben wird.
— Als Hauptvertreter der naturalistischen Religionsphilosophie kann derzeit James
George Frazer betrachtet werden (Hauptwerk siehe unten S. 391). Das größte
deutsche Lehrbuch der Religionsgeschichte ist das von Chantepie de la Saussaye:
Lehrbuch der Religionsgeschichte, 2 Bde, 4. Aufl., Tübingen 1925; es steht gleich-
falls größtenteils auf naturalistischem Boden. — Eine Reihe wichtiger Werke
wird im folgenden noch angeführt.