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4 .

D e r s y s t e m b i l d e n d e G e d a n k e i n B e z u g a u f

F o r m u n d I n h a l t

Mit unserer Gegenüberstellung haben wir Grund und Ungrund

der philosophischen Systembildung, damit aber auch die Einheit von

Form und Inhalt des philosophischen Systems, erkannt: Wo das

Endliche als Endliches, das Sinnliche als Sinnliches genommen wird,

gibt es keine echte Allgemeinheit, keine allumfassende Ganzheit,

keinen alles Einzelne und Sinnliche in sich haltenden Grund. Wo

dagegen das Endliche im Überendlichen, das Sinnliche im Übersinn-

lichen gewußt wird, dort ist das Übersinnliche die umfassende All-

gemeinheit, die alles begründende Ganzheit, der alles haltende und

enthaltende letzte Grund.

Daraus ergibt sich die Frage: Inwiefern ist der Begriff des Über-

sinnlichen der systembildende Gedanke? Keinesfalls genügt die Vor-

stellung eines Übersinnlichen schlechthin oder der lauteren Gottheit

schlechthin. Denn das lautere Übersinnliche ist der Welt ferne

(„transzendent“). Erst dadurch, daß das Übersinnliche auf irgend-

eine Weise in einem bestimmten schöpferischen V e r h ä l t n i s s e

z u m S i n n l i c h e n gedacht wird, kann es, wie Grund der Sinn-

lichkeit, so auch erzeugender Begriff des geschlossenen Lehrgebäudes

werden.

Das Sinnliche ist in das Übersinnliche nicht nur gleichsam ein-

getaucht, wie das Ruder im Wasser, es ist in ihm nicht enthalten

wie in einem äußerlich umflutenden Mittel; sondern es ist in ihm

als im seingebenden Mittel, im lebenspendenden Grunde.

Darin liegt aber, was für den Aufbau des Lehrgebäudes entschei-

dend ist:

(1)

Daß das Übersinnliche d u r c h V e r m i t t l u n g e n

h i n d u r c h das Sinnliche schafft — solche Vermittlungen sind

in der Geschichte der Philosophie bisher gewesen: die Ideenwelt

(und die „Teilnahme“ der Dinge an ihr): Platon, Aristoteles, Scho-

lastik; die Emanationen in ihrer Eigenschaft als Seinsstufen (die Neu-

platoniker); die dialektischen Setzungsschritte als Setzung, Wider-

spruch und Aufhebung: Fichte, Schelling, Hegel, und damit ist ge-

geben:

(2)

daß das Sein selbst — die sinnliche Natur- und die Geistes-

welt — die Spuren dieser Vermittlungen in sich tragen muß.