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Von diesem Standpunkte aus ist das dialektische Verfahren, wie
gesagt, seiner Mängel im Einzelnen enthoben und muß lediglich von
der einen Frage aus beurteilt werden, die in jedem wahrhaft gro-
ßen System der Philosophie immer zu den grundlegendsten gehört
hat, der Frage: wie w i r d a u s d e m E i n e n d a s V i e l e ,
a u s d e m Ü b e r e n d 1 i c h e n d a s E n d l i c h e , a u s
d e m
U n g e s c h a f f e n e n d a s G e s c h a f f e n e ?
Hierauf gibt das dialektische Verfahren eine Antwort, die das
Siegel der Größe auf der Stirne trägt, und die daher ganz unrichtig
keineswegs sein kann. Sie lautet in ihrem Kerne: Aus dem Einen
wird Vieles durch Unterscheidungen hindurch: und ferner: Unter-
scheidungen aber haben die Natur von Gegensätzen, die wieder
„aufgehoben“ werden müssen und können; dies dadurch, daß das
Setzende, die „absolute Idee" (das ist das Absolute als Weltschöp-
fer, Gott der Schöpfer als Weltgeist) durch alle Widersprüche hin-
durch sich behauptet und so die I d e n t i t ä t inmitten der Ge-
gensätze herstellt. Über diesen Widerspruch ist zuletzt noch eine
genauere Erklärung zu geben.
3.
Das W e s e n d e s W i d e r s p r u c h e s i n d e r D i a l e k t i k
(1)
Nach dialektischer Auffassung wäre das Erste im Sein und
Werden der Gegensatz, und wäre allein der Gegensatz fruchtbar. So
F i c h t e : Nur in dialektischem Widerspruche der Selbstsetzung
des Ich zu seiner Selbstentgegensetzung, das heißt zur Setzung des
Nicht-Ich, nur im Fortgange der Setzung zur Entgegensetzung und
deren abermaliger Entgegensetzung oder Wiederaufhebung ent-
wickelt der Geist seine Kategorien. So auch S c h e l l i n g u n d
H e g e l : Nur in dialektischen Widersprüchen wird der Weltgeist
zur Entwicklung der Welt getrieben, aus dem bestimmungslosen
Sein durch das „Nichts“ zum „Werden“ und von da erst zu Be-
stimmungen. — Dadurch werden aus der bloßen Form von „Set-
zung“ und „Gegensetzung“ nicht nur die Kategorien des Geistes,
sondern auch deren Bestimmungen, also der Inhalt der Welt, ab-
geleitet. Schon Schelling, vor allem Hegel hat diese Folgerung ge-
zogen (Hegels „Logik“), bei Fichte sind die Voraussetzungen dafür
entwickelt worden.
Die Schwierigkeit dieser Widerspruchslehre wurde öfters erör-