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das Vollkommene als kategorischer Imperativ, also im Gewissen,
aufzutreten vermag, das Unvollkommene, Böse zu überwinden und
das Vollkommene zu erreichen gebietet, nur dann ist lebendige
Sittlichkeit im Einzelnen und in einer Gemeinschaft am Werk. Aber:
S ü n d e u n d G e w i s s e n t r e t e n n u r d a n n i n e i n e r
R e l i g i o n s t a r k h e r v o r , w e n n e i n s e h r h o c h -
g e s t e c k t e s Z i e l d e s S e i n s o 1 1 e n d e n d e m E i n -
z e l n e n u n d d e r G e m e i n s c h a f t unendliche Aufgaben
stellt.
Wenn der Brahmanismus trotz seiner hohen Mystik gegen das
Christentum im Sünden- und Gewissensbegriff so sehr abfällt, liegt
der Grund unseres Erachtens in dem polydämonischen Unterbau
seiner Religion, welcher die höchsten Vollkommenheitsforderungen
wieder verdirbt.
Der letzte Urgrund des Sittlichen bleibt demnach stets das mysti-
sche Erlebnis. Das lehren unter anderen deutlich die Worte einer
Upanischad, wonach alle Tugend ihrem Wesen nach an „tapas“,
das heißt Konzentrationsübung, mystische Erfahrung angeknüpft
wird:
„Gerechtigkeit ist tapas, Studium ist tapas, beruhigtes Wesen ist
tapas, Bezähmung ist tapas, Beruhigung ist tapas, Almosengeben
ist tapas, Opfer ist tapas.. .“
1
Sowohl das Vollkommenheitsbewußtsein wie das Vollkommen- /
heitsstreben, sowohl das Wissen um das Ziel des Lebens wie um
seine Mängel, das Sündenbewußtsein wie das Gewissen, beide haben
ihre letzte Wurzel im mystischen Erleben.
Überdies geht, wie wir wissen, von der mystischen Erfahrung
auch die U n s t e r b l i c h k e i t s ü b e r z e u g u n g aus, an die
sich in jeder Religion ein bestimmtes Bild des Jenseits knüpft,
welches dann wieder durch die Vorstellung vom G e r i c h t — in
Indien vom Karma, den Taten, die den Grund zum Schicksal im
künftigen Leben legen — mitbestimmt wird. Jedoch sind dies bereits
fernere Ableitungen.
Als eine andere, unendlich mächtige, wie sich zeigte, auch von
der Mystik ausgehende sittliche Kraft stellt sich die L i e b e dar,
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Maha-Nârâyana-Upanishad, 9, 8, in: Paul Deussen: Sechzig Upanishads des
Veda, 2. Aufl., Leipzig 1905, S. 246.