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Daß die Mystik auch Mitbegründerin r e l i g i ö s e r K u n s t
sei, braucht hier nicht näher auseinandergesetzt zu werden. Denkt
man an Stephan Lochners Madonna im Rosenhag, an Martin Schon-
gauer, an Matthias Grünewald, an die gotischen Dome oder an die
ägyptische und indische Kunst, so wird dies ohne weiteres klar.
Und wo wäre ohne Mystik die gesamte klassische Musik? Sie ist,
wie jede höchste Kunst, aus dem Geist der Mystik geboren.
Indessen ist es nicht Aufgabe der Religionsphilosophie, dies näher
auseinanderzusetzen
1
.
D.
Die w e l t b e h e r r s c h e n d e M a c h t d e r M y s t i k
Auf unserem langen Weg zeigte sich immer wieder, wie das Tiefe
aller Religiosität der Mystik entquillt und nur dieser. Die unmittel-
baren Kategorien des mystischen Erlebens, so besonders die Gott-
verwandtschaft der Seele, die Unsterblichkeitsüberzeugung und die
Göttlichkeit der Welt selbst; die abgeleiteten Kategorien der Liebe,
Gnade, Erlösung, des Friedens und der Seligkeit, des Abfalls und
der Sünde; die in ursprünglichen wie abgeleiteten Kategorien ge-
legenen Konkretisierungsgründe der Religiosität, welche in allen
geschichtlichen Religionen auf mannigfache Weise wirksam sind;
endlich die sittlichkeitsbegründende Kraft der Mystik, welche sich
insbesondere darin erwies, daß Gezweiung zwar die Gesellschaft der
Menschen, Rückverbundenheit aber erst die Gezweiung begründet
2
,
höchste Rück- / Verbundenheit aber Mystik ist — dieses alles bewies
immer wieder klar, daß wir in der mystischen Religiosität den
wahren, letzten und einzigen Urquell der Religionen, damit aber
auch aller K u l t u r vor uns haben; daß wir somit in der Mystik
eine weltbeherrschende Macht erkennen müssen.
Die überkommenen falschen Begriffe von Mystik sind aber so
mächtig, daß vielleicht die Zweifelsfrage entstehen könnte, ob sie
nicht doch gänzlich weltfeindlich, schon weil sie ausschließlich Gott
zugewandt sei. Danach müßte alle Mystik zur Weltarbeit unfähig
machen. Die Lösung dieses scheinbar unheilbaren Zwiespaltes gibt
aber das gewaltige Wort: „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes
und alles andere wird euch mit hinzugegeben werden“
3
.
1
Über Quietismus als Entartungsform der Mystik siehe unten S. 315.
2
Vgl. oben S. 15.
3
Mattheus 6, 33.