Previous Page  174 / 473 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 174 / 473 Next Page
Page Background

174

[155]

Prophezeiungen, insbesondere ferner die in Babylonien besonders

gepflegten a s t r o l o g i s c h e n V o r h e r s a g u n g e n , endlich

die griechischen O r a k e l . Sie alle wurden durch eigens damit be-

schäftigte Priester oder Priesterinnen ausgeführt. Den V ö g e l n ,

B l i t z e n , S t e r n e n , als der Oberwelt näher, wurde eine be-

sondere Übereinstimmung mit der Harmonie des Alls zugetraut;

desgleichen auch den T i e r e n , bei welchen aber einzelne Organe

eine besondere Bedeutung hatten; besonders E i n g e w e i d e u n d

L e b e r wurden in Entsprechung mit der Oberwelt gedacht.

„ ... es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Leberschau zum Zwecke der

Erkundung des Geschickes bereits in altbabylonischer Zeit vorgenommen wurde.

Leberschau und auf Himmelskunde beruhende Astronomie gehören aber zu-

sammen. Die Leber gilt als Kosmos im kleinen“

1

.

Auch beim L o s w e r f e n soll eine besondere Übereinstimmung

mit der inneren Ordnung der Dinge zutage kommen, so daß ein

Orakel entstehen kann.

Solche und ähnliche Einrichtungen, welche aus der Zauberei ent-

sprangen, finden sich ausnahmslos in allen polytheistischen Religio-

nen, wie auch in jenen der Naturvölker.

Im griechischen Orakel zu D o d o n a wurde aus dem Rauschen der Blätter

der heiligen Eiche geweissagt, was wohl als ein Magnetisierungsmittel, ähnlich

dem Kristallsehen, gedeutet werden darf. Die Pythia zu D e l p h i , welche durch

Dämpfe, die nach antiker Überlieferung aus einem Erdspalt kamen, erregt wurde,

weissagte ebenfalls in ekstatischem Zustand.

Der magnetische T e m p e l s c h l a f in Ägypten und Griechenland beruht

auf Gesichten und Gehören.

Der Kultus von T i e r e n , die zu Weissagungszwecken in Tempeln gehalten

wurden, gehört wenigstens zum Teil in das Gebiet vermeintlicher Gesichte

(nämlich der Tiere selbst).

Die berühmten Seherinnen der Germanen, Veleda, Aurinia, Ganna, Thiota

beweisen, daß bei unseren Vorfahren ähnliche religiöse Einrichtungen bestanden

wie bei den Griechen. Auch bei den K e l t e n , wo die Druiden weissagten, bei

den I n d e r n , S l a w e n , C h i n e s e n fehlten sie nicht. Das z w e i t e G e -

s i c h t in Schottland, die „Vorkieker“ in Westfalen stellen zwar keine religiösen

Erscheinungen dar, lehren uns aber, die Brücke zu den religiösen Einrichtungen

der Orakel zu schlagen.

Überall schwanken dieselben Erscheinungen von eckt priesterlich-religiöser

Gestalt zu privaten, zum Teil wenig geachteten Beschäftigungen, wie es auch

heutzutage noch z. B. das K a r t e n l e g e n ist.

/

1

Alfred Jeremias: Sterne, in: Roschers Lexikon der griechischen und römischen

Mythologie, Bd 4, Leipzig 1909—1915, Sp. 1438.