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B. T r ä u m e

Den visionären Zuständen nahe verwandt, und damit auch den

magisch-somnambulen benachbart, sind Träume ekstatischer Art.

Ihre Bedeutung für die Entstehung religiöser Dienste mögen nur fol-

gende zwei Beispiele veranschaulichen.

„Sophokles war Priester und hatte als solcher einmal einen prophetischen

Traum (vit. 44 ff.): Herakles erscheint ihm und zeigt ihm einen verlorenen

Gegenstand, den der Dichter am nächsten Tage wirklich findet. Dankbar stiftet

er dem Herakles Menytes einen Altar“

1

.

Inschrift des 4. oder 3. Jahrhunderts v. Chr.: „Schlafend sah Philios, ein

Kyprier von Abkunft aus Salamis, Sohn des Ariston, im Traume den Naulochos

(ein Heros) und die reinen, hehren Thesmophoren (= Demeter und Kore) in

weißen Gewändern. In drei Träumen befahlen sie, diesen Heros zu ehren als

Hüter der Stadt und wiesen den Platz an. Deswegen errichtete Philios diesem

Gotte eine Bildsäule“

2

.

C.

M a g i s c h e s H e i l w i s s e n

Das Entstehen der Heilkunst aus ekstatisch-magnetischen Zu-

ständen ist eine unbestreitbare Tatsache. Zwar ist sie an die Religion

nicht unmittelbar gebunden, jedoch erklärt sich durch sie die enge

Verbundenheit des Priestertums und der Heilkunst in den alten

Religionen.

Justinus Kerner gab in der „Seherin von Prevorst“

3

Fälle an, in

denen die Kranke sich selbst im magnetisch-ekstatischen Zustand

bestimmte Heilkräuter und Heilverfahren, auch bestimmte Steine

verordnete, welche dann mit Erfolg angewendet wurden. Eine grö-

ßere Anzahl ähnlicher Fälle aller Art führt Perty an

4

. Eine Erklä-

rung dieser sehr wichtigen Erscheinung ist nur dann möglich, wenn

man ein erweitertes Mitfühlen des ekstatisch erregten Menschen mit

der Natur annimmt, also einen Rapport der Somnambulen mit den

inneren Zentren der Pflanzen oder Mineralien, die als Heilmittel

1

Wolf Aly: Artikel Mythos, in: August Friedrich Paulys Realenzyklopädie

der klassischen Altertumswissenschaft, Bd 16, Stuttgart 1894, Sp. 1377.

2

Eduard von Lehmann: Textbuch zur Religionsgeschichte, Leipzig 1912,

S. 337.

3

Justinus Kerner: Die Seherin von Prevorst, 3. Aufl., Stuttgart 1838; vgl.

die Belege in meinem Buche: Erkenne dich selbst, Jena 1935, S. 133 ff. und öfter.

[2. Aufl., Graz 1968, S. 119 ff.].

4

Vgl. Maximilian Perty: Die mystischen Erscheinungen der menschlichen

Natur, Bd 1, 2. Aufl., Leipzig 1872, S. 125 ff. und 262 ff.; vgl. auch Joseph

Ennemoser: Geschichte der Magie, Leipzig 1844, S. 133 ff. und öfter.