Table of Contents Table of Contents
Previous Page  118 / 413 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 118 / 413 Next Page
Page Background

118

Eine andere grundlegende Folgerung aus dem ganzheitlichen Be-

griffe des Geistes und der Gesellschaft als des Gegenstandes der Sozio-

logie ist diese: Der Universalismus allein vermag zuletzt auch das Indi-

viduum zu retten. Denn das Ganze besteht nicht aus homogenen,

noch aus toten Stücken, sondern aus Gliedern, die ihrem Begriffe

nach alle unwiederholbar und einzig, die alle „individuell“ sind, und

die ferner selber wieder Ganze sind, darum in ihrer Art ein Eigen-

leben, eine vita propria haben.

Ein anderer und entscheidender Erfolg der ganzheitlichen Auf-

fassung ist ferner damit gegeben, daß die Ganzheit als systematische

gefaßt den A l l g e m e i n b e g r i f f ergibt, da jede Ganzheit im

System ihrer höheren und niederen Ganzheiten bestimmbar ist; daß

sie aber, in ihrer Entfaltung, Bewegung oder Umgliederung erfaßt,

eine G e s c h i c h t e hat, also die geschichtliche Erkenntnis erfor-

dert.

Hiermit ist nicht nur die logisch-methodologische Vereinbarkeit

von Geschichte und Theorie, sondern noch mehr: die tatsächliche

l o g i s c h e E i n h e i t v o n g e s c h i c h t l i c h e r u n d

t h e o r e t i s c h e r B e g r i f f s b i l d u n g gewonnen, jene Einheit,

die sowohl der Windelband-Rickertischen Logik, wie auch dem

praktischen Forschungsgang der geschichtlichen Schulen in der

Volkswirtschaftslehre (Roscher, Schmoller) unerreichbar war. Das

u n i v e r s a l i s t i s c h e

V e r f a h r e n

a l l e i n

k a n n

s o w o h l

e c h t

t h e o r e t i s c h

w i e

e c h t

g e s c h i c h t l i c h s e i n , j a e s m u ß n o t w e n d i g

b e i d e s z u g l e i c h s e i n . Denn jede Ganzheit ist als das

b e s t i m m t e

Glied

seiner

bestimmten

höhe-

ren Ganzheit individuell, unwiederholbar, einzigartig und als Glied

eines s y s t e m a t i s c h e n Ganzen dennoch typisch, dennoch

theoretisch zu erfassen

9

.

Wird die ganzheitliche Auffassung durchgeführt, dann sieht auch

die Geschichte der Soziologie anders aus, als man bisher glaubte.

Nicht mehr mit Comte, Spencer, Schäffle beginnt die Soziologie,

nicht mehr in der Aufklärungs- und Naturrechtsphilosophie hat sie

9

Die hier angedeuteten Gedankengänge habe ich mittlerweile ausgeführt in dem Bei-

trag: Über die Einheit von Theorie und Geschichte, in: Aus Politik und Geschichte,

Gedächtnisschrift für Georg von Below, Berlin 1928 (jetzt: Bd 7, S. 203 ff.).