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ihre Wurzeln, sondern bei Platon und Aristoteles, bei Augustinus
und Thomas, bei Fichte, Schelling, Hegel und Baader. Dort allein
zeigt sich die echte Staats- und Soziallehre, die echte Geisteswis-
senschaft.
Auf diese Weise findet der deutsche Geist gleichsam wie Odys-
seus im Traume seine eigene Heimat wieder.
II. Erwiderung auf die Einwände meiner Gegner
1 . L e o p o l d v o n W i e s e ( K ö l n )
Als erster Wechselredner sprach Herr von Wiese. Zweierlei ist es,
was er hauptsächlich einwendete
10
.
Erstens dürfe der Gegensatz von naturwissenschaftlichem und
geisteswissenschaftlichem Verfahren nicht so schroff gefaßt werden,
als es von Rickert und von mir geschehen sei
11
; daher sei „gewiß auch
verstehende, aber n i c h t n u r v e r s t e h e n d e , sondern a u c h
o r d n e n d e u n d v e r g l e i c h e n d e Methode nötig“
12
. — Von
Wiese nimmt also meine Anerkennung, daß in seiner „Beziehungs-
lehre“ der Begriff der Beziehung als reinste Form des mechanischen
Ursächlichkeitsbegriffes mutig zu Ende gedacht sei
13
, nicht an, son-
dern beansprucht für sich, beide Verfahren, das kausal-mechanische
und das geisteswissenschaftliche, das ihm „verstehend“ bedeutet,
anzuwenden. — Dem habe ich zu entgegnen, daß eine Verwendung
beider Verfahren aus logischen Gründen unmöglich ist. Es gibt in
der Verfahrenlehre nur ein Entweder — Oder. Ebensowenig wie
etwas zugleich kalt und warm sein kann, ebensowenig kann die Ge-
sellschaft zugleich natur- und geisteswissenschaftlich erforscht wer-
den. Von Wieses besondere Forderung: „Nicht nur verstehend, son-
10
Verhandlungen, S. 126 ff.
11
,,Vor zwanzig Jahren“, sagt von Wiese, . habe ich mich in meiner Spencer-Kritik
gegen eine naturwissenschaftliche Auffassung der Soziologie gewandt . . . Wir stehen heute
vor der entgegengesetzten Gefahr einer zu schroffen Scheidung zwischen den beiden großen
Hälften unseres geistigen Globus . . (Verhandlungen, S. 126).
12
Verhandlungen, S. 127.
13
Siehe oben S. 110.