Table of Contents Table of Contents
Previous Page  165 / 413 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 165 / 413 Next Page
Page Background

165

„Durch den Ideenbegriff ist Platons S e i n s l e h r e bestimmt. Nicht der

Materie, nur den Ideen kommt das , s e i e n d e S e i n

1

(

Ǘnjljǔǐ ǎnj

)

zu. Man

pflegt bisher das óntoos ón als ,wahrhaftes Sein' zu übersetzen und zu deuten.

Das ist ein grundlegender Fehler! Philologisch genommen ist das zurechtfertigen,

aber begrifflich, philosophisch genommen, verhüllt es den tieferen Sinn des

Wortes! Es muß buchstäblich, nämlich das Adverbium óntoos als ,seientlich‘

oder ,seiend' (nicht als ,wahrhaft', was nur übertragen gilt!), óntoos ón daher

als ,seiendes Sein' übersetzt werden: Das ,s e i e n d e S e i n ' , w e l c h e s

n i c h t e r s t w i r d , s i c h n i c h t e r s t e n t w i c k e l t , s o n d e r n

s c h o n i s t ! Hiemit schuf Platon einen grundlegenden Begriff der Seinslehre.

Das Werden kommt nach Platon nicht dem ideenhaften, nur dem sinnlichen Sein,

der M a t e r i e zu, die ihm daher verhältnismäßiges Nichtsein (

Njǀ

įnj)

ist. Sie

wird zur Körperwelt, indem sie die Ideen aufnimmt. Damit hat Platon die

Ontologie H e r a k l i t s , nach welcher ,alles fließt', es daher nur Werden gibt,

mit jener der E l e a t e n , nach welcher das wahrhaft Seiende nur rein Behar-

rendes, das ,Eine' ist, die Vielheit der Dinge dagegen nur Schein, vereinigt;

denn die Idee beharrt, die sinnliche Erscheinung wird und vergeht“ (Bd 13, 202).

„Über den Ursprung der Ideenlehre sind fast durchwegs falsche Vorstellungen

im Schwange . . . Ohne einen Erlebnisgrund konnte diese Lehre nie aufgestellt

werden. Ihr wahrer Ursprung ist ein religiöser, der bei Platon noch im beson-

deren durch die orphisch-pythagoräische Mystik bestimmt wurde. Aber ganz

allgemein liegt schon im Polytheismus die Vorstellung von übersinnlichen Seins-

mächten, welche die Welt gestalten, den Göttern, Halbgöttern und Naturgei-

stern — nichts anderes als die Götterwelt ist im letzten Grunde die Ideenwelt.

Die I d e e n l e h r e ist daher Ausdruck eines Urwissens der gesamten Mensch-

heit“ ( B d l 3 , 210).

Bei aller Bewunderung der Platonischen Ideenlehre übersieht

Spann nicht ihre Schwächen und Schwierigkeiten. Er folgt in der

Kritik weitgehend Aristoteles, nimmt aber wieder andere und wesent-

liche Aspekte der Platonischen Ideenlehre gegen die Aristotelische

Kritik in Schutz. Das Ergebnis dieser eingehenden Prüfung faßt Spann

in folgendem „Rückblick“ zusammen:

„Wir folgten der prüfenden Untersuchung der Platonischen Ideenlehre durch

Aristoteles. Das Verdienst dieser Prüfung bleibt, daß sie als die entscheidende

Frage richtig die hervorhob: Ob den Ideen Getrenntheit von den Dingen zukomme

oder Einwohnung in ihnen. Wir fanden, daß sich im Falle der Getrenntheit

oder Jenseitigkeit eine Reihe von Schwierigkeiten ergibt, die fast alle darin

bestehen, das Verhältnis der Dinge zu den über ihnen, gleichsam unerreichbar

schwebenden Ideen zu bestimmen. Es zeigte sich, daß der Begriff der ,Teil-

nahme' dies nicht zu leisten vermag; daß der Begriff des Bandes oder des ,dritten

Menschen' ebenfalls eine nicht lösbare Schwierigkeit bietet; daß darnach auch

die Frage, von welchen Dingen Ideen angenommen werden müssen, nicht lös-