Z w e i t e r A b s c h n i t t
Welche sind die methodischen Grundgedanken und die
Hauptvertreter der empiristischen Richtungen der
Gesellschaftslehre ?
Die schwer überblickbare, oft zusammenhanglose Vielfalt der
Richtungen, die geringe methodologische Schulung der meisten Verfasser
(namentlich der amerikanischen), die große Zahl wissenschaftlich
wertloser Veröffentlichungen macht die Unterteilung der empiristischen
Gesellschaftslehre in Schulen zu einer schwierigen Aufgabe. Um diese
Aufgabe zu erleichtern, ist es nötig, den folgenden Überblick auf eine
verhältnismäßig geringe Anzahl „führender“ Verfasser und Werke
einzuschränken.
Soweit die empiristische Gesellschaftslehre den Anspruch erhebt,
a l l g e m e i n e
Gesellschaftslehre
(gesellschaftliche
Allgemeinwissenschaft) zu sein, lassen sich fünf große Schulen
unterscheiden:
die
biologische,
die
mechanische,
die
vergleichend-völkerkundliche, die vergleichend-geschichtliche, endlich
die psychologische; dazu kommt die als Sonderwissenschaft gedachte
formalistische Gesellschaftslehre.
I.
Die biologische oder auch sogenannte organische Schule
Die biologische oder organische Schule hat als die älteste das
umfangreichste Schrifttum. Sie geht auf Auguste Comte zurück, einen
Schüler des Grafen Saint Simon
1
. Da Comte als Begründer der modernen
empiristischen, naturwissenschaftlich gearteten „Soziologie“ / gelten kann
(der er auch den Namen gab) und da auch andere Schulen auf ihn
zurückgehen, so sei hier über Comtes Lehre ein allgemeinerer Bericht
eingefügt, der sich aber doch auf das Allernotwendigste beschränkt.
1
Auguste Comte: Cours de Philosophie positive, 6 Bde, Paris 1830—42, Bd 4—6:
Soziologie, deutsch von Valentine Dom, eingeleitet von Heinrich Waentig, Jena 1907 und
1911 (= Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister, Bd 8—10).