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der ein diskretes, kein konkretes Ganzes repräsentiert, und dessen
Teile a l l e Bewußtsein besitzen, ist jedenfalls ein ganz e i g e n -
a r t i g Anderes, wie ein konkreter Organismus, dessen Teile alle
prinzipiell von e i n e m Teile, dem Nervensystem, abhängig sind.
Wie schon P a u l B a r t h hervorgehoben hat, wird durch diesen
Unterschied der Bewußtheit der Teile der Gesamtzusammenhang
im sozialen Körper, das heißt die s o z i a l e K a u s a l i t ä t (also
gerade die „Gesetze der Organisation“) eine wesentlich verschiedene
1
.
A u ß e r d e m gibt S p e n c e r allerdings noch eine wirkliche
und eigentliche Entwicklung einer biologischen Auffassung der Ge-
sellschaft. Sie besteht in der Behauptung, daß aus der N a t u r
d e r E i n h e i t e n d i e N a t u r d e s A g g r e g a t e s f o l g t
2
.
Nun ist die soziale Einheit ein Organismus; also muß es auch das
soziale Aggregat sein.
Erstens ist nun dieser, bei S p e n c e r die Soziologie als de-
d u k t i v e
W i s s e n s c h a f t konstituierende Satz durchaus
unhaltbar (z. B. eklatant ungültig für das Chemische!). Sodann
aber geht er bloß auf die F o r d e r u n g , den Begriff des Organi-
schen an das Soziale heranzutragen. Die D u r c h f ü h r u n g
solcher Bestimmung des Sozialen als Organisches ist noch eine selb-
ständige Arbeit. Und bei dieser hat S p e n c e r , wie oben gezeigt,
die prinzipielle Kluft zwischen dem Organischen und Sozialen deut-
lich genug selbst zugestanden und zugestehen müssen: z. B. die Be-
stimmung des Sozialen als „Uberorganisch“ und insbesondere sein
Begriff der Gesellschaft als dauernde Wechselbeziehung zwischen
Individuen
3
.
1
Paul Barth: Philosophie der Geschichte als Soziologie, Leipzig 1897, S. 107.
2
Herbert Spencer: Einleitung in das Studium der Soziologie, nach der 2. Aufl.
des Originals herausgegeben von Heinrich Marquardsen, Bd 1, Leipzig 1875,
Kapitel III.
3
Über die Ungültigkeit jenes Satzes, daß die Eigenschaften der Teile die des
Ganzen bestimmen, für m a s s e n p s y c h o l o g i s c h e Erscheinungen vgl.
S c i p i o S i g h e l e : Psychologie des Auflaufes und der Massenverbrechen,
deutsch von Hans Kurella. Dresden 1897, S. 1 bis 12.
Von der Literatur ü b e r Spencer sei hier angeführt: P a u l B a r t h :
Philosophie der Geschichte als Soziologie, Leipzig 1897, S. 92 ff.; A l b e r t
S c h ä f f l e : Bau und Leben des sozialen Körpers, Bd 1, 2. Aufl., Tübingen
1896, S. 52 ff.; F e r d i n a n d T ö n n i e s , in: Philosophische Monatshefte,
Bd 25. Berlin 1889, Bd 28, Berlin 1892, und Archiv für systematische Philoso-