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ten „Induktion“, zur äußerlichen Feststellung von Tatsachen ge-

macht werden, weil sie ihren G e g e n s t a n d , der ein innerer ist,

unter den Händen verliert. Wir müssen wieder zu einem anderen

Grundsatz der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung zurückkeh-

ren, wir müssen den Blick auf den Gehalt, das Lebendige, die Ziele

des menschlichen Lebens lenken, das Leben darum zuletzt auch rich-

tend miterleben.

Die Aufgabe, den politischen Ideengeist unseres Zeitalters zu er-

forschen, zeigt allein schon die Schwäche der Stellung, in die uns je-

ner falsche Grundzug unserer gesellschaftlichen Wissenschaften ge-

bracht hat. Diese Aufgabe eigens zu stellen, wäre in früheren Zeit-

altern überflüssig gewesen. Wenn jemand in der französischen Re-

volution gefragt hätte, welches ihr politischer Ideen- / gehalt, was ihr

Geist und Innerstes sei, der hätte nur die eine runde Antwort be-

kommen: die Freiheitsidee, der unbedingte naturrechtliche Indivi-

dualismus; oder eine Zeit der religiösen Umwälzung hinwiderum,

die Reformation, hätte geantwortet: die Reinigung der religiösen

Lehre und Empfindung, das ist es, was wir wollen. Wir Heutigen

können eine entsprechende Antwort nicht geben; heute ist es der

Zeit nicht bewußt, was die Revolution eigentlich will, und die,

welche glauben, es zu wissen, die Sozialisten oder die Demokraten,

haben erst recht keine Klarheit darüber, wie sich später zeigen wird.

Wollen wir den politischen Zeitgeist erkennen, so haben wir zwei

Aufgaben vor uns, die streng auseinander zu halten sind: Zuerst die

Ideenkreise, die seine Bestandteile bilden, zergliedernd festzustellen;

und sodann den Gehalt der einzelnen Ideenkreise für die Gesittung

zu erkennen. Bevor wir uns diesen Aufgaben selbst zuwenden, gilt

es aber noch das Verhältnis unserer heutigen Gesellschaftswissen-

schaften zu ihnen klarzumachen.

Beiden Aufgaben gegenüber versagen unsere heutigen Gesell-

schaftswissenschaften. Das steht in grellem Gegensatze zu der Selbst-

gerechtigkeit, mit der sie als „exakte“, „induktive“ Wissenschaften

auftreten. Indern sie sich nämlich (wie schon früher angedeutet) „ur-

sächlich“ einstellen, indem sie mechanische Gesetze von Wirtschaft

und Gesellschaft aufstellen wollen, sind sie notwendig kasuistisch,

atomistisch geworden. Sie gehen den Einzelerscheinungen nach, sie

suchen „Strenge“, aber das Ganze haben sie dabei nicht festzuhalten

vermocht. Den führenden Einfluß auf das politische Leben, auf den