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aber als ein Hauptzug in der Geschichte durch.) Notwendig ameta-
physisch eingestellt ist zuletzt der Individualismus deshalb, weil das
Individuum, als geistig selbständig, sich auf sich selbst zurückziehen,
auf seiner eigenen Seinsgrundlage verweilen kann. Wir wissen, daß
diese Alleinheit eine geistige Verarmung bedeutet; aber der Mensch
ersetzt diese Verarmung, wie es scheint, durch den Rausch der Be-
sonderheit, der Partikularität. „Nur mir bin ich verwandt, sonst
von allen abgetrennt“, so sagt der Individualist. In dieses Nur-ich-
selbst-Sein, diesen inneren Urzustand, kann ich mich zurückziehen,
und dann gleiche ich dem Prometheus, der sich dem Zeus sogar
gegenüberstellt! Der Einzelne fühlt sich gedrängt, sich sogar dem
kosmischen Zusammenhange zu entziehen, fühlt die Möglichkeit,
gegen alles aufzustehen. Das Prometheische, das der Individualismus
in seiner tiefsten Wurzel in sich trägt, dieses ist es, was sich dem
Metaphysischen schließlich mit Notwendigkeit entgegenstellt. Denn
das Metaphysische, Unbedingte will seinem Sinne nach etwas sein,
das über aller Einzelheit und Eigenheit steht. Über jede besondere
Natur soll (ihrem Sinne nach) die metaphysische Idee herrschen als
ein Übernatürliches; und was die Idee ist (nehmen wir sie einmal
ganz im Platonischen Sinne als das geistige Urbild der Dingwelt),
danach bildet sich der Geist innerlich, das Ding äußerlich um. Der
prometheische Mensch dagegen will das Gegenteil, er will, daß jenes
gelte, was das Individuum von sich aus erzeugt, das heißt er will das
Ametaphysische. Darum die Zerstörung aller objektiven Werte und
Gültigkeiten in jedem individualistischen Zeitalter, darum die Los-
bindung von der Hierarchie der Werte durch Renaissance und Hu-
manismus.
Mit dieser Ablehnung des Metaphysischen ergreifen wir zugleich
den zweiten geistigen Grundzug des Individualismus: das Utilita-
rische, die Richtung auf das Nützliche, was mit der Richtung auf
das Äußere logisch notwendig zusammentrifft. Nun werden die sitt-
lichen, logischen und anderen Werte nicht mehr erscheinen kraft
ihrer inneren (apriorisch verbürgten, überindi- / viduellen, vorempi-
rischen) Gültigkeit und Heiligkeit, sondern kraft ihrer äußerlichen
Beziehungen zum Individuum, kraft ihres Nützlichkeitscharakters,
„utilitarisch“. (Auch hier gilt wieder: Nicht jeder Individualist und
jede Abart des Individualismus muß nach dem Nutzen gehen, er
kann auch dem W e r t e irgendwoher eine überindividuelle Gültig-