Table of Contents Table of Contents
Previous Page  2364 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 2364 / 9133 Next Page
Page Background

202

[145/146]

und zugleich den Kulturstaat, der sich um alles kümmern, der überall

leiten und bilden soll.

So können wir als erstes Ergebnis feststellen: Unser Zeitgeist ent-

hält zwei große Vorstellungskreise, den Individualismus und den

Universalismus, die aber einander noch widerstreiten; und auch der

Marxismus ist eine Mischung beider. Somit ist der erste große

Grundzug des politischen Ideengehaltes unseres Zeitalters: der dop-

pelte, ineinander geschaltete Widerstreit von individualistischem

und universalistischem Denken.

Dieses Bild können wir gestaltlich und genetisch betrachten. Ge-

staltlich gesehen, ist es der eben dargelegte Widerstreit individualisti-

scher und universalistischer Gedankengruppen und Parteien: Hie

freie Wirtschaft, Freihandel, Naturrecht, Liberalismus, Demokratie,

Kosmopolitismus; hie Romantik, Sozialpolitik, organische Staats-

auffassung, völkischer Gedanke; und der Marxismus wiederholt den-

selben Widerspruch in sich: Hie Demokratie, Revolution, freie Asso-

ziation, Fehlen der Herrschaft von Menschen über Menschen; hie

Kollektivierung der Wirtschaft, hie geschichtlich unfreie, mechanisch

ablaufende Entwicklung. — Diese Widersprüche haben wir alle mit

der Muttermilch eingesogen; nur dadurch ist es erklärlich, daß sie

psychologisch überhaupt ertragen werden, denn der Anblick, den

sie logisch bieten, ist der von Zerrissenheit schlechthin.

Das genetische Bild ist tröstlicher. Die französische Revolution war

der Sieg des Individualismus. Unsere gegenwärtige Revolution ist

aber durch andere Geistesmächte bestimmt: In ihr siegt eine Misch-

form, der Marxismus! Der Marxismus nun hat im heutigen Um-

sturze allerdings / zuerst individualistische Elemente zum Siege ge-

führt. Seine erste Tat war die Vollendung der Demokratie; Pazifis-

mus, Kosmopolitismus, Antimilitarismus haben (äußerlich gesehen)

gesiegt. Damit ist aber zugleich seine Maske gefallen. Wie konnte

das, was vornehmlich unter universalistischer Flagge focht, als größte

und eiligste Tat die Demokratie verwirklichen? Hierfür ist die in-

nerste Ursache die Fehlerhaftigkeit, die Schwäche der universalisti-

schen Elemente im Marxismus, auf dessen tiefstem Grunde zuletzt,

wie sich erwies — der Anarchismus lauert

1

!

1

Siehe oben S. 148 f. und 177 ff.