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Organismus und Staat bei universalistischer Auffassung der Gesell-

schaft vorausgeschickt werden, um den Irrtum zu beseitigen, als sei

die Anwendung des Organismusbegriffes auf die Gesellschaft ernst-

haft möglich, da so viele universalistisch gerichtete Bestrebungen sich

schlechthin als „organische Auffassung“ zu bezeichnen pflegen.

E r l ä u t e r n d e r Z u s a t z ü b e r d e n U n t e r s c h i e d z w i s c h e n

O r g a n i s m u s u n d G e s e l l s c h a f t

Es genügt nicht, der atomistischen Auffassung eine „organische“ gegenüber-

zustellen, um das Mechanische des Individualismus zu überwinden, wie das heute

so oft geschieht, d e n n d e r O r g a n i s m u s s e l b s t i s t w i e d e r n u r

e i n e M i t t e l s t u f e z w i s c h e n M e c h a n i s m u s u n d G e s e l l s c h a f t .

Die Gesellschaft ist eine noch übermechanischere Erscheinung als der Organismus

— weil sie geistiger ist als er!

Im Organismus ist zu unterscheiden:

(1)

Die planmäßige Ungleichheit der Teile, die schon oben, Punkt (1), hervor-

gehoben wurde. Planmäßig heißt dabei abgestimmt, gegenseitig entsprechend

(korrelativ, korrespondierend). So sind Herz und Lunge, Magen und Darm auf-

einander abgestimmt. Diese Gegenseitigkeit ist eine Überwindung des Atomisti-

schen und daher Mechanistischen, damit aber der rein physikalischen Natur des

Organischen. Sie ist das eigentlich „Organische“ am lebenden Körper, sie begrün-

det auch die „organische Ungleichheit“ in seinen Teilen. Dieselbe Eigenschaft der

organischen Ungleichheit hat die Gesellschaft, auf ihre morphologisch-anatomi-

schen Bestandteile hin betrachtet, z. B. indem Publikum gegen Künstler, Laie

gegen Priester, Krieger gegen Bürger, Unternehmer gegen Arbeiter, Landwirt-

schaft gegen Gewerbe steht.

(2)

Diese entsprechungsmäßige, korrelative „organische“ Ungleichheit ist den-

noch verbunden mit Gleichwichtigkeit aller Organe — allerdings nur bei be-

stimmtem Leistungsstande. Die „Organe“ sind ihrem Begriffe nach Leistungsein-

heiten. Das Herz pumpt das Blut zum Umtrieb, die Lunge besorgt die Auf-

frischung durch Atmung usw. Dieses Zusammenspiel, dieses Gebäude der Leistun-

gen hat die Grundeigenschaft, in jeder Grenzwirkung (Wirkung der letzten Auf-

wendung eines Organs, z. B. des letzten Lungenbläschens) gleich wichtig zu sein,

wenn ein ganz bestimmter Stand der Gesamtleistung ins Auge gefaßt / wird.

Denn für einen bestimmten Grad von „Gesundheit“, von „Wohlbefinden“,

„Frische“ oder dergleichen ist nicht nur nötig, daß das Herz, die Lunge, das

Zentralnervensystem und ähnliche absolut lebenswichtige Organe (Leistungsein-

heiten) vollkommen das ihrige leisten („funktionieren“), sondern auch, daß die

kleinste Muskelgruppe, das kleinste Glied mit vollkommenen Leistungen auf-

tritt und hinzukommt. Das letzte Lungenbläschen, der letzte Herzmuskel und

der letzte Muskel des kleinen Fingers sind alle unentbehrlich gerade für diesen

bestimmten Grad von Gesundheit und Wohlbefinden. Geht man aber auf einen

geringeren Leistungsstand herab, z. B. überhaupt nur „Erhaltung der Arbeits-

fähigkeit“ oder gar nur „Fortkommen mit dem Leben“, so sind die Organarten

natürlich nicht gleich wichtig, da der kleine Finger, einige Lungenbläschen usw.

wohl dafür entbehrt werden können, nicht aber das Herz oder einige Zentren

des Großhirns. Bei dem n e u e n , nunmehr angenommenen Gesamtstande der

„Gesundheit“ aber (das heißt aller Leistungen), erweisen sich die Beiträge aller

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