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wir an die soziologische Grundbestimmung des Anfanges, an die
Lehre von der Gemeinschaft, anknüpfen. Wir haben uns früher ge-
nau klar gemacht, worin das Wesen der Gemeinschaft bestehe: Es ist
die geistige Gegenseitigkeit, das darin gelegene Überindividuelle,
was unserem Leben die G e s e l l s c h a f t l i c h k e i t als wesen-
hafte Grundform einprägt
1
.
Da ergibt sich nun die weitere Frage: Zwischen wem ist Gemein-
schaft oder Gezweiung möglich? Die Antwort lautet: Zwischen
Gleichgearteten; und zwar nicht zwischen vollkommen Gleichen,
sondern zwischen sich in irgendeinem Sinne ergänzenden, die also
noch Gegensätzlichkeit zwischen sich haben. G e m e i n s c h a f t
b i l d e t s i c h d u r c h V e r s c h i e d e n h e i t a u f d e m
G r u n d e d e r G l e i c h h e i t . Heißt doch Freundschaft vor al-
lem: Einander etwas geben, etwas sein, was nicht möglich wäre, wenn
jeder ohnehin vollkommen das besäße, was der andere hat. Dem-
gemäß sehen wir ja auch, wie gerade die wesentlichsten Gemein-
schaftsverhältnisse auf gegenseitige Ergänzung angelegt sind: Mutter
und Kind, Lehrer und Schüler, Künstler und Genießender, Priester
und Laie, Forscher und Schule. Immer wird man finden, daß die Ge-
meinschaft in einem wesentlichen Sinne ergänzend für die Teilneh-
mer ist, ergänzend auf Grund engerer oder weiterer Gleichheit. Die
Einsicht, daß jeweilige Gleichartigkeit die Vorbedingung für die Bil-
dung geistiger Gemeinschaft sei, ist eine Grundwahrheit der Gesell-
schaftslehre, eine Grundeinsicht, ohne die ein tieferes Urteil über ge-
sellschaftliche Dinge nicht möglich ist. Wir können die genannte Er-
scheinung das G e s e t z d e r i n n e r e n G l e i c h a r t i g k e i t
d e r G e m e i n s c h a f t e n nennen.
Hieraus folgt eine weitere Grundeinsicht. Wenn Gemeinschaft nur
auf Grund geistiger Gleichartigkeit möglich ist, so sind lebendige Ge-
meinschaften stets klein. Denn es können immer nur verhältnis-
mäßig wenige Menschen sein, die einander soweit gleichen, daß sie
eine für die Gemeinschaftsbildung fruchtbare Verschiedenheit mit-
bringen. Wir können diese Erscheinung das G e s e t z d e r
K l e i n h e i t d e r G e m e i n s c h a f t e n nennen. Es folgt un-
mittelbar aus der Grundtatsache der Gleichgeartetheit der Gemein-
schafter.
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Siehe oben S. 40 ff.