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[XVI/XVII]

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Beide Untersuchungen gehen durchaus von e i n e m methodologischen

Grundbegriffe aus: dem Begriffe der Ganzheit.

Die Gesellschaft und alles, was in ihr enthalten ist (sohin auch die Wirt-

schaft), ist ein Geistiges, kein Materielles. Als Geistiges ist sie Ganzheit

und nicht Summe oder Haufen von getrennten Einzelheiten, daher nicht

Mechanismus, nicht Atomhaftes; daher auch nicht ein von mechanischen Ge-

setzen der Ursächlichkeit Beherrschtes, sondern ein von den Gesetzen der

Gliederung, der zweckgültigen, teleologischen Ordnung Beherrschtes.

Sind Wirtschaft und Gesellschaft nichts Äußeres, Fremdes, Stoffliches,

liegt vielmehr in ihnen das Innere unserer eigenen menschlichen Natur aus-

gebreitet vor uns, so ist jede gesellschaftswissenschaftliche Untersuchung ein

Streifzug in den objektiven Geist des Menschen, jede Gesellschaftswissen-

schaft innere Mit-Wissenschaft der menschlichen Seele, des objektivierten

Geistigen, des objektivierten menschlichen Wesens. Geist und Seele können

nie als stückartig Zusammengesetztes, als Häufung von Einzelnem begriffen

werden, sondern Einssein, der Blitz der Ganzheit ist nötig, um das Einzelne

zu ergreifen. Zum Gliede muß alles Einzelne durchaus werden, soll es aus

seinem Fürsichsein, aus seiner Getrenntheit und Nichtigkeit erhoben und in

das allein wahrhaft seiende Dasein der Ganzheit umgeschaffen werden. Dies /

allein ist das Grundlegende, ist die Ur-Aufgabe aller gesellschaftlichen Wis-

senschaft: zu begreifen, was Ganzheit sei, und welcher vollkommene Gegen-

satz bestehe zwischen jenem Verfahren, das aus einzelnen Stücken ein

(scheinbares) Ganzes zusammen-stellen möchte, und jenem anderen, dem

Ganzheit ein Erstes, das Erstwesentliche, Unableitbare (Primäre), alle Einzel-

heit dagegen nur abgeleiteter, gliedlicher Teil ist. Das erstere Verfahren ist

Stückwerk im buchstäblichen Sinne dieses Wortes und möchte sich dennoch

vermessen, die wahre lebendige Ganzheit des pulsierenden, hervorbringen-

den Lebens zu erklären. Es ist das individualistische, mechanistische, atomi-

stische, ursächliche Verfahren und ergibt eine entgeistigte, am Äußerlichen

klebende, ursächliche, nie ans Herz vordringende Wissenschaft. Das andere

Verfahren geht auf den Urquell zurück, das Ganze, und ist durchgeistigte,

innerlich mitwissende, einsichtige Wissenschaft.

Der Begriff der Ganzheit ist das echte Samenkorn lebendiger Wissen-

schaft, der Begriff getrennter Einzelheit ist die Drachensaat der Irrlehre und

zuletzt toter Wissenschaft.

Was im besonderen das Lehrstück von Tausch und Preis anbelangt, so ist

bekannt, daß es in der überkommenen Wissenschaft der Volkswirtschafts-

lehre dem ganzen Lehrgebäude durchaus die grundlegenden Begriffe liefert.

Vom Tauschbegriffe aus wird der jeweilige Wertbegriff erst zum Preisbegriff

verarbeitet, die Preisgesetze werden dann ihrerseits wieder zu Grund-

gesetzen der Einkommensverteilung und der Verteilung der Wirtschafts-

mittel überhaupt weitergeführt, indem Rente, Zins, Unternehmergewinn und

Lohn als Sonderformen des Preises begriffen werden. Preis und Tausch sind,

so darf man sagen, das Reich der Mitte in unserer Wissenschaft. Im Ver-

hältnis zu ihnen sind alle anderen Begriffe nur Ableitungen. Diese Erschei-

nung wird allgemein als eine schlechthin gegebene Grundtatsache der volks-

wirtschaftlichen Theorie hingenommen — denn sie besteht seit über 200 Jah-

ren. Smith, Ricardo, Marx und sogar die Schulen der Grenznutzenlehre legen

davon Zeugnis ab.