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[XVII/XVIII]
Ich habe in meinem „Fundament" eine andere Auffassung zu entwickeln
versucht, wonach der erste Grundbegriff der Volkswirtschaftslehre nicht der
Tausch, sondern die Leistung ist; und Leistung ist nur als Glied einer Ganz-
heit faßbar. Diese Auffassung muß für sich selbst sprechen; es kann nicht
der Zweck der vorliegenden / kleinen Arbeit sein, sie neuerdings zu begrün-
den. Jedoch war in jenem Buche nicht der Ort, die gegnerischen Gedanken
über Tausch und Preis streitbar zu untersuchen. Dies soll nunmehr gesche-
hen. Der Gegner soll selbst sprechen, seine entscheidenden Gedankengänge
sollen gehört, geprüft und mit den hier vertretenen Begriffen verglichen
werden. So sehr sonst die aufbauende Arbeit der bloß kämpferischen und
verneinenden vorzuziehen ist, diesmal galt es, den Gegner im eigenen Lager
aufzusuchen, ihn auf seinem ureigensten Gebiet zu schlagen. Tausch und
Preis sind nach den Ergebnissen der vorliegenden Auseinandersetzung nicht
die Grundbegriffe der Volkswirtschaftslehre überhaupt, sondern lediglich
der i n d i v i d u a l i s t i s c h e n Volkswirtschaftslehre; Tausch und Preis
sind ferner nicht Begriffe, die dem Streit um Individualismus und Universa-
lismus entrückt wären (wie die unbewußt aufklärerische Art von heute
glaubt), sondern sie gerade stehen im Mittelpunkt dieses Streites, sie gerade
entscheiden darüber, welche Straße die Forschung geht. Nur wenn Tausch
und Preis individualistisch gefaßt werden, kann eine in ihrem theoretischen
Begriffsbau individualistische Volkswirtschaftslehre entstehen (von „indivi-
dualistisch" im Sinne einer wirtschafts - p o l i t i s c h e n Einstellung ist hier
nicht die Rede), nur wenn sie universalistisch gefaßt werden, eine universa-
listische. Dies sind die Sätze, die in der zweiten Abhandlung verfochten
werden. Sie schließt sich damit an meine Wiener Antrittsrede „Vom Geist
der Volkswirtschaftslehre" (Jena 1919) an, in der ich gezeigt habe, daß es
nicht eigentlich e i n e Volkswirtschaftslehre, sondern deren zwei gibt, die
individualistische und die universalistische. Das wird, wie ich hoffe, hier,
wo auf den Inhalt, nicht nur auf das methodologische Bild der Begriffe ein-
gegangen wird, von der stofflichen Seite her so klar und offenbar, daß der
bisherige vermittlerische und beschwichtigende Widerspruch verstummt.
Auch wenn diese Schrift nichts erreichen sollte als die Geister zu schei-
den und von der überlieferten Flauheit in der heutigen deutschen Wissen-
schaft zur Selbstbesinnung aufzurufen, hat sie ihren Zweck erfüllt.
W i e n , im Juli 1921
Othmar Spann