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II.
Zur inneren und äußeren Geschichte der „Toten und lebendigen
Wissenschaft“
In mehreren großen systematischen Werken („'Gesellschaftslehre“,
„Fundament der Volkswirtschaftslehre“, „Der wahre Staat“) hatte
Othmar Spann bereits vor Erscheinen der vorliegenden Schrift ver-
sucht,
der
individualistisch-materialistischen
Gesellschafts-
und
Wirtschaftserklärung eine vom Geistigen ausgehende u n i v e r -
s a l i s t i s c h e gegenüberzustellen. So war seine „Tote und leben-
dige Wissenschaft“ in ihrer ersten Auflage als eine Art Nachwort zu
jenen Büchern gedacht. Dort hatte er die wissenschaftlichen Grund-
begriffe seiner Leistungslehre geschaffen, hier sollten diese den geg-
nerischen Gedanken — vor allem dem Liberalismus und dem Mar-
xismus — gegenübergestellt und streitbar bewährt werden.
Im Laufe ihrer vier Auflagen erfährt die „Tote und lebendige
Wissenschaft“ jedoch eine grundlegende Wandlung: aus der wissen-
schaftlichen Streitschrift wird eines der bedeutendsten Lehrbücher
der Spannschen Wirtschaftslehre. Diese Wandlung kommt außer der
von Auflage zu Auflage wachsenden inhaltlichen Ausgestaltung
auch in der Fassung der Untertitel der einzelnen Auflagen zum
Ausdruck. In den beiden ersten Auflagen spricht Spann noch von
„Abhandlungen zur Auseinandersetzung mit Liberalismus [zweite
Auflage: Individualismus] und Marxismus“; in der dritten und vier-
ten Auflage lautet der Untertitel bereits: „Kleines Lehrbuch der
Volkswirtschaft in fünf Abhandlungen“. Unter diesem Gesichts-
punkt der Wandlung von der Streitschrift zum Lehrbuch ist das
vorliegende Werk zu sehen.
Nun zu den einzelnen Auflagen selbst.
Wie „Der wahre Staat“ erlebt auch die „Tote und lebendige Wis-
senschaft“ die
e r s t e A u f l a g e
im Jahre 1921, sieben Jahre nach der „Gesellschaftslehre“ und drei
Jahre nach dem „Fundament“. Das Titelblatt lautet: „Tote und le-
bendige Wissenschaft. Zwei Abhandlungen zur Auseinandersetzung
mit Liberalismus und Marxismus von Dr. Othmar Spann, o. ö. Pro-
fessor der Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftslehre an der Uni-
versität Wien. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1921.“ Die Schrift
umfaßt 57 Seiten und enthält weder Sach- noch Namensverzeichnis.
Das Vorwort ist datiert: „Wien, im Juli 1921.“ In ihm legt Spann
seine Absicht dar, die er mit diesem Buch verfolgt: es soll in Form
einer Streitschrift eine Art Nachwort zu den oben erwähnten Wer-