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Auferweckung heißt, Kräfte in sich wachrufen. Dazu bedarf es

der Anstrengung. Ein anderer wichtiger Grundsatz der Lebenskunst

ist darum: die S t r e n g e g e g e n s i c h s e l b s t . Sie ist ein not-

wendiger Bestandteil der subjektiven Seite der Erziehung, darum

auch schon pythagoräische Erziehungsweisheit fordert, niemandem

seine Bürde abzunehmen, wohl aber beim Aufbürden zu helfen,

nämlich Trägheit nicht zu unterstützen; wie ja auch schon ein pytha-

goräischer Spruch strenge Selbstprüfung verlangt: „Laß nicht den

Schlaf auf die müden Augen fallen, bevor Du Dein ganzes Tagewerk

geprüft hast.“ — Im Gegensatz dazu geht heute die Meinung der

Zeit dahin, überall zu mildern und womöglich alles Lernen, alle Er-

ziehung in ein Spiel zu verwandeln. Dieser Standpunkt verkennt

aber die R o l l e d e s L e i d e n s in der Welt

1

. Leiden läutert.

Dafür muß der Mensch Gott dankbar sein, Leiden zu empfangen,

nach Maßgabe der Kraft, es fruchtbar zu machen. Wenn allerdings

die Grenze überschritten, wenn Leiden nicht mehr fruchtbar wird,

dann dient es auch der Erziehung nicht mehr. Aber allem Leid, das

Kraft aufzustacheln, das Verborgenes aus uns hervorzulocken ver-

mag, soll man mit Verschwendung seiner selbst begegnen. Die Rich-

tigkeit dieses Standpunktes beweist die nüchterne Betrachtung des

Alltäglichen. Wo wäre der Wanderer, der auf dem Wege ermüdete,

der Künstler, der im Schaffen erlahmte, der Kämpfer, der im Ringen

nachließe? Der Wanderer könnte nie ans Ziel, der Künstler nie zum

Werke, der Kämpfer nie zum Siege gelangen.

/

Das Gegenteil von Strenge ist Ü p p i g k e i t . Denn alle Üp-

pigkeit, Bequemlichkeit, Lässigkeit ist unfruchtbar im Leben. Gei-

stige Erstarrung und erbärmliches Behagen sind innig verwandt

(Goethes Studierzimmer war karg und streng: „Verfluchtes dumpfes

Mauerloch“). Behaglichkeit regt nicht an, sondern stumpft ab. Sie

nimmt innere Spannungen. Behagen ist erbärmlich. Was rastet,

rostet. Das Anregungslose der Üppigkeit und Behaglichkeit darf

sich der Mensch nicht gestatten. Der Spießbürger ist darum der

platte und seichte Mensch, weil er den Inbegriff von Behaglichkeit

verkörpert. Neuzeitliche Klubsesselkultur ist entweder für über-

arbeitete Menschen und dann eine Art von Krankenpflege, oder sie

zeigt geistige Unfruchtbarkeit an.

1

Ygl. den Abschnitt „Spannung und Leid“ in meinem Buch: Geschichtsphilo-

sophie, Jena 1932, S. 338 f.