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lebung erfahren hat, und deren Neuausgaben hier auch zur

Besprechung vorliegen.

Das erste eingangs angeführte Werk von K a r l V o r l ä n d e r besitzt

besonderes Interesse als dogmengeschichtlicher Bericht über die schon seit

geraumer Zeit im Gange befindlichen Bestrebungen, eine „Synthese von

Kant und Marx“ wenigstens auf methodologischem Gebiet zu erreichen.

Da ich mich auch über dieses Buch schon an anderer Stelle ausführlich

geäußert habe

1

, werde ich darüber nur das in unserm Zusammenhange

Notwendigste sagen. Sein Inhalt ist weitausgreifend. Es werden die

politischen Ansichten Kantens, der philosophische Entwicklungsgang von

Marx, die Entstehung des historischen Materialismus und die

idealistischen Nebenströmungen im modernen Sozialismus geschildert

(Lassalle, Dietzgen usw.). Sodann wird die Verbindung des Sozialismus mit

der hämischen Lehre, welche einerseits die Neukantianer Albert K. Cohen,

Paul Natorp, Staudinger, Stammler usw., andererseits die Revisionisten

Conrad Schmidt, Ludwig Woltmann, Bernstein und andere versucht

haben, behandelt, sowie die entsprechenden Bestrebungen unter den

reinen Marxisten, von denen z. B. Max Adler und Otto Bauer sich für jene

Verbindung von Kant und Marx einsetzen, während Kautzky, Labriola

und andere sie mit Entschiedenheit bekämpfen.

Die Frage ob der Sozialismus an die kantische Methodologie

anzuknüpfen habe, wird von Vorländer mit den genannten Sozialisten und

Neukantianern bejaht. Die Entscheidung darüber liegt aber meines

Erachtens nicht auf methodischem Gebiete selbst, sondern in der

Sozialphilosophie beider Systeme, sie hängt also von der Frage ab: ob dem

Marxismus und der kantischen Lehre die gleiche Auffassung vom Wesen

des Staates und der menschlichen Gemeinschaft zugrunde liegen, ob beide

individualistisch oder universalistisch denken. Nun kann aber Kantens

Staats- und Gesellschaftsauffassung nur individualistisch begriffen

werden. Er geht vom Individuum aus, das durch die Besinnung auf seine

moralische Grundlage ein schlechthin autonomes, in sich vollendetes

Wesen ist, dessen Vielheit schon, und noch mehr: dessen ganzer

Zusammenhang

1

In: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung,

herausgegeben von Carl Grünberg, Bd 2, Heft 1, Leipzig 1911.