Table of Contents Table of Contents
Previous Page  3564 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 3564 / 9133 Next Page
Page Background

130

das der Nützlichkeit. Ist die Gesellschaft nur die „Wechselwirkung“

der Einzelnen, dann hat diese Wechselwirkung bloß den einen Sinn,

ihnen zu nützen. Gesellschaft ist gegenseitige äußere Hilfeleistung.

„Utilitarismus“ in verhüllterer oder unverhüllterer Form ist darum

jene Sozialethik, welche der individualistischen Gesellschaftserklä-

rung entspricht

1

.

Der p o l i t i s c h e G r u n d s a t z , der aus der individuali-

stischen Auffassung folgt, ist jener der Freiheit. Wenn der Einzelne,

das Individuum, grundsätzlich das Primäre, wenn es das in sich Ge-

gründete ist (daher grundsätzlich in sich fertig, bevor es die „Wech-

selwirkung“ eingeht), dann kann nur die Wahrung dieser Selbstän-

digkeit das Lebensgesetz des Einzelnen und das Baugesetz der Ge-

sellschaft sein — die Freiheit! (Hieraus folgt wieder die Beschrän-

kung der Staatsaufgaben auf Sicherheit, etwa gemäß dem natur-

rechtlichen Urvertrag; ferner die Volkssouveränität und Demo-

kratie als letzte staatsrechtliche Forderungen — davon aber hier

nicht gehandelt werden soll

2

.)

Das individualistische Naturrecht, namentlich seit Thomas Hobbes, hat diesen

Gesichtspunkt mehr oder weniger planmäßig ausgebildet, die moderne natur-

wissenschaftlich gestimmte Gesellschaftslehre seit Auguste Comte hat eine „in-

duktive Wissenschaft“ darauf aufbauen wollen, dabei aber das Grundsätzliche

zum größten Schaden für die Klarheit des Standpunktes immer mehr vernach-

lässigt, ja der Selbsttäuschung sich hingegeben, sie könne „erfahrungsmäßige“

Gesellschaftswissenschaft ohne jene grundsätzlichen Entscheidungen treiben! Aber

die strenge verfahrenkundliche Untersuchung wird um unser Ergebnis niemals

herumkommen: der Einzelne als selbstwüchsige und als erste Wirklichkeit, die

Gesellschaft als Summation, darum nur als abgeleitete Wirklichkeit; das Ver-

hältnis des Einzelnen zur Gesellschaft als ein bloß nützliches; die Freiheit als

oberster politischer Grundsatz — das sind die notwendigen Grundgedanken, die

unvermeidlichen und unumstößlichen Grundmerkmale jedes Individualismus,

sei es nun, daß er in der schroffsten Form, des Anarchismus

3

oder in der ge-

mäßigteren des Macchiaveilismus (wie ich die Lehre von der Herrschaft des

Stärkeren nannte) oder in der noch gemäßigteren des neueren Naturrechtes auf-

tritt

4

. Wenn es außerdem in der neueren Zeit verschwommene Lehrgebäude gibt,

1

Weiteres über Individualismus siehe in meinem Artikel: Soziologie, in:

Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd 7, 4. Aufl., Jena 1926, S. 656 f.

2

Vgl. mein Buch: Gesellschaftslehre, 2. Aufl., Leipzig 1923, S. 72 ff. (jetzt:

4. Aufl., Graz 1969, S. 93 ff. = Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 4).

3

Siehe den Artikel: Anarchismus, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaf-

ten, Bd 1, 4. Aufl., Jena 1922, S. 276 ff.

4

Vgl. mein Buch: Gesellschaftslehre, 2. Aufl., Leipzig 1923, S. 67 ff. (jetzt:

4. Aufl., Graz 1969, S. 85 ff. = Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 4).