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intensiven Feldbaues zur Mastung dienen könnte, volkswirtschaftlich weniger geeignet.

Vielmehr ist es seinen natürlichen Vorzügen zufolge dazu bestimmt, ausgezeichnetes

Melkvieh und Zuchtvieh (nicht aber Schlachtvieh) zu liefern. Diese Schwierigkeiten sind den

Kennern der alpinen Landwirtschaft längst bekannt

1

. Auch bestätigt das Beispiel der Schweiz,

welche trotz ausgebildeter Viehwirtschaft bereits zur Fleischeinfuhr schreiten muß, die

volkswirtschaftliche Notwendigkeit dieser Verhältnisse. Von ausschlaggebender Wichtigkeit

ist aber der weitere Umstand, daß die Intensivierung der Alpenwirtschaft weniger in der

Viehwirtschaft selber liegt, als in der Weiterverarbeitung der Produkte (Käse usw.), sowie

andrerseits im Übergang zur intensiven Milchwirtschaft (Abmelkerei, Milchverkauf). Jede

Frachtermäßigung und jede neue Bahnverbindung ist imstande, gewisse Gegenden

wirtschaftlich so nahe an die Stadt zu rücken, daß sie den S p r u n g v o n d e r l e t z t e n

z u r e r s t e n T h ü n e n s c h e n Z o n e (der Viehwirtschaft zur Milchwirtschaft)

machen können: sie gehen zum direkten Milchverkauf in die Stadt über und nehmen

wenigstens insoferne einen ganz intensiven Betrieb auf. Bei dieser Wirtschaft aber ist, wie bei

der Abmelkerei, die vor der Stadt etabliert ist, das Vieh grundsätzlich nur noch Nebenprodukt.

Die eigentliche nomadisierende Almenwirtschaft freilich, welcher Stallfütterung und

intensiver Futterbau immer fremd bleiben muß, kann diesen Sprung nicht machen, soweit er

aber in den Alpen überhaupt möglich ist, führt er auch dort die Landwirtschaft von der

Viehproduktion ab.

Nun verbleibt allerdings noch ein Einwand, dem man eine gewisse Berechtigung nicht

absprechen kann: daß die moderne Weidewirtschaft sehr intensiviert worden sei. Das ist

richtig, aber es geht deswegen noch nicht an, die Weidewirtschaft auch wirklich für ein

intensives System zu erklären. Das kann ich nicht zugeben. „Die Weidewirtschaft in allen

ihren Formen gehört zu den extensiven Betriebssystemen“, sagt von der G o l t z

1 1 2

. S i e

i s t a r b e i t s e x t e n s i v und selbst in den modernen Formen auch r e l a t i v

k a p i t a l s e x t e n s i v , da sowohl Gebäude- wie Gerätekapital, Lohnfonds und andere

Elemente gering sind; nur das Betriebskapital ist bedeutend. D i e s e s i s t a b e r

z u g l e i c h P r o d u k t ! Außerdem muß das funktionelle Zusammenspiel a l l e r

Kapitalszweige ins Auge gefaßt werden. Die jetzige Propaganda für die Aufnahme des

Weidebetriebes ( F r i e d r i c h W i l h e l m F a l k e ) ist im wesentlichen trotz aller

Modernisierung eine Rückkehr zu einem extensiveren Verfahren, welche die Niederlegung

von Ackerflächen zur Folge hat. Späterer Mangel und Preissteigerung von Getreide,

abermalige Rückkehr zum Feldbau wird die Folge der Übertreibung solcher Versuche sein,

die heute durch die Leutenot allerdings die größte praktische Stütze haben.

Hiermit scheint mir das Theoretische der Frage völlig klargestellt. Die praktische Frage

der Vieh- und Fleischversorgung eines Landes muß lauten: Kann man auf Grund der nach

Klima und Bodenbeschaffenheit allein für die Viehzucht geeigneten Gegenden eines Landes

(andere Gegenden sollen eben ausgeschlossen bleiben) genug Vieh erzeugen, um den

Fleischbedarf zu decken? Diese konkrete Frage kann nur von Praktikern und

Sachverständigen genau beantwortet werden und von ihrer gewissenhaften Prüfung hängt es

ab: wie w e i t m a n d i e

1

Vgl. Michael Hainisch, in: Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und

Statistik, Bd 15, Wien 1906.

2

Theodor Freiherr von der Goltz: Artikel Ackerbausysteme, in: Handwörterbuch

der Staatswissenschaften, Bd 1, 3. Aufl., Jena 1909, S. 34 ff.