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unmöglich. Je intensiver also eine Landwirtschaft durch Steigen der Preise oder
Verringerung der Transportkosten wird — indem Schienenwege, Frachtermäßigungen
usw. auch sehr weit entfernte Produktionsorte wirtschaftlich ganz in die Nähe des Marktes
bringen — umsomehr muß sie von der Viehzucht abrücken!
Aus diesen Grundgedanken der T h ü n e n schen Lehre ergibt sich also mit
unzweifelhafter Sicherheit, daß die Intensivierung einer nationalen Landwirtschaft der
Viehzucht abträglich ist. So betrachtet, ist es kein Wunder, daß unsere fortschreitende
Landwirtschaft verhältnismäßig zu wenig Schlachtvieh produziert: man kann ihr gar nicht
zumuten, sich von den lohnenden intensiven den weniger lohnenden extensiveren
Produktionszweigen zuzuwenden! Im Kreise der Vieh- und Weidewirtschaft befinden sich
heute wegen ihrer großen Entfernung von den Absatzmärkten Länder wie Serbien,
Rumänien, Rußland, Südamerika, Australien usw., also Länder mit extensiver Wirtschaft.
Das sollte doch die Augen öffnen! Der innere Widerspruch zwischen landwirtschaftlicher
Entwicklung und Förderung der Viehzucht ist eine nationalökonomische Wahrheit, welche
bei der Erörterung der ganzen Fleischteuerungsfrage zum Schaden der Sache nicht beachtet
wurde.
Nun ist allerdings hervorzuheben, daß p r a k t i s c h diese Wahrheit nicht
verabsolutiert werden kann, sondern E i n s c h r ä n k u n g e n erfahren muß, so daß sie
nicht bedeutet, es möge unsere inländische Viehzucht einfach fallen gelassen werden.
Welches sind nun diese praktischen Einschränkungen? Zunächst ist zu berücksichtigen, daß
Vieh nicht nur in der reinen Viehzucht erzeugt wird, wo bloß um der Tiere und ihrer
Produkte willen (Fleisch, Käse usw. — Milchwirtschaft zum Milchverkauf ist etwas
anderes) gewirtschaflet wird, sondern daß mit allen anderen landwirtschaftlichen
Betriebssystemen gleichfalls Viehhaltung verbunden ist. Dies widerspricht nicht dem, was
oben über den Gegensatz von extensiven und intensivenWirtschaftssystemen gesagt wurde.
Denn der R e n t a b i l i t ä t n a c h m ü ß t e n i n d e r T a t a l l e
i n t e n s i v e r e n (dem Markt näher gelegenen) l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n
B e t r i e b e d i e V i e h z u c h t g a n z a u f g e b e n und sich bloß dem weit
einträglicheren Kornbau usw. widmen. Das hat T h ü n e n in seinem „Isolierten Staat“
rechnerisch nachgewiesen
1
. Und die Viehhaltung würde auch unstreitig aufhören, wenn
dies nicht, wie T h ü n e n sagt, „durch ein merkwürdiges Gesetz der Natur“ verhindert
würde. Das Vieh ist nämlich ein notwendiger Düngerproduzent, „eine unentbehrliche
Maschine, wodurch Heu und Stroh in Dung verwandelt werden, und die Viehzucht muß
mit Ackerbau verbunden bleiben, wenn sie auch gar keine Einnahme gewähren sollte“
( v o n T h ü n e n ) . Der künstliche Dünger ändert an diesemVerhältnis imWesen nichts.
Den praktischen Landwirten ist es sehr wohl bekannt, daß die Viehhaltung, namentlich die
Mastviehhaltung, bei intensiveren Betrieben nichts als ein „ n o t w e n d i g e s Ü b e l “
ist.
Nehmen wir nun der Einfachheit halber an, daß die Produktion von Jungvieh für diese
Art von Viehhaltung hinreichend gegeben wäre — obwohl auch dies in Österreich immer
weniger der Fall sein wird — so erscheint die Produktion von V i e h d o c h n u r a l s
N e b e n e r z e u g n i s d e s i n t e n s i v e n A c k e r b a u e s , denn das Vieh wird
nicht um seiner selbst willen, das heißt als Schlachtvieh produziert, sondern es ist eben im
wesentlichen nur Dünger-
1
Vgl. J o h a n n H e i n r i c h v o n T h ü n e n : Der isolierte Staat in Beziehung
auf Landwirtschaft und Nationalökonomie, Teil 1, Rostock 1826, §§ 26 und 26 b.