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des Naturgeschehens gegeben sein können. Ohne eine solche Ver-
einfachung wäre ursächlich-mathematische Physik mit allen ihren
großen Erfolgen unmöglich. Andererseits aber darf die Unterstel-
lung dieses Verfahrens, nämlich die rein mengenhafte Bestimmtheit
der Natur, nicht zur Grundlage der Naturansicht überhaupt wer-
den.
Der heute herrschende, tief beschämende, unser Leben verar-
mende I r r t u m e i n e r n i c h t i n n e r l i c h m i t u n s
v e r b u n d e n e n N a t u r m u ß ü b e r w u n d e n w e r -
d e n . (Daß die neueste Physik in diesem Hauptpunkte etwas
anderes sei als die alte — seit Galilei — ist ein kindlicher Irr-
tum, keiner Widerlegung wert).
Dieses Ziel zu erreichen, ist ein Lebenserfordernis unserer, in
ihrem Kerne angegriffenen Kultur.
2.
Entsprechendes gilt auch über die Seelenlehre. Wie die Physik
mathematisch, so ist die Seelenlehre in allen ihren Richtungen (ein-
schließlich der Denk- und Gestaltseelenlehre) sensualistisch; und
darum auch noch immer eine „Psychologie ohne Seele“. Jeder Sen-
sualismus ist aber nichts anderes als eine Übertragung des mathe-
matisch-ursächlichen und mechanistischen Verfahrens auf die see-
lischen Erscheinungen (wie übrigens auch schon das Weiterwuchern
einer „experimentellen Seelenlehre“ rein äußerlich zeigt!). In der
Physik erwies sich die mathematisch-mechanistische Unterstellung
fruchtbar (da uns der Sinngehalt der Naturzusammenhänge zumeist
nicht erschwinglich ist); in der Seelenlehre ist sie wesenswidrig, da-
her unfruchtbar, ja zerstörend. Hätte etwa Shakespeare, bevor er
„Richard III.“ und „Macbeth“ schrieb, das Ergebnis von „Ver-
suchen“ in heutigen „Laboratorien“ abwarten sollen?
Der sensualistische I r r t u m e i n e s S e e l e n l e b e n s
o h n e S e e l e u n d e i n e r E r f o r s c h u n g d e s s e l -
b e n n a c h A r t d e r V e r f a h r e n d e r P h y s i k ;
w e i t e r h i n a u f e i n e r d u r c h s i c h s e l b s t s e n -
s u a 1 i s t i s c h - b e s t i m m t e n , s i c h
s e l b s t ü b e r - l a s s e n e n , d a m i t a u c h n a c h
o b e n h i n v e r s c h l o s s e n e n , g o t t e n t f r e m
d e t e n S e e l e m u ß ü b e r w u n d e n w e r d e n .
Daß die Erreichung dieses Zieles eine unerläßliche Bedingung der
Erneuerung unserer Kultur sei, liegt womöglich noch klarer am
22 Kleine Schriften