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Rede sein; nach dem treffenden Worte von Laplace zu Napoleon
„Ich bedurfte dieser Hypothese (nämlich Gottes) nicht“. Was sollte
auch ein göttliches Wirken z. B. im Gravitationsgesetze, einer Glei-
chung, in der Laplacischen „Weltformel“ überhaupt? — Anders
die ganzheitliche Betrachtung. Sie kann und muß das Wirken von
Ganzheiten, Unterganzheiten und Gliedern jederzeit als von den
Anregungen der höheren Ganzheiten, zuletzt des höchsten Befas-
senden, Gottes, durchpulst auffassen und begreifen.
Nicht aus dichterischer Stimmung, sondern darüber hinaus aus je-
ner inneren Notwendigkeit, welche im Begriffe der Ganzheit liegt,
können wir daher dem großen Worte Goethes beipflichten:
Wer die Natur als göttliches Organ leugnen will,
der leugne nur gleich alle Offenbarung. (Aus dem Nachlasse)
Wir wiederholen, daß solche Worte auch im Begriffsgebäude der
mathematischen Physik keinen Raum hätten und sich dort schlecht
ausnehmen würden; aber in einer Betrachtung über das Gemein-
leben des Menschen in der Natur steht es damit grundsätzlich an-
ders. Diese Betrachtung führt zum Begriffe der Natur als einer
Ganzheit; und jede Ganzheit fordert wesensgemäß eine Über-
höhung. Diese kann zuletzt nur im Allesbefassenden, Gott, gefun-
den werden.
Und wie der Begriff eines Gesamtganzen als Ausgliederung, so
auch der eines Gesamtlebens als Umgliederung: „Wohl ist alles in
der Natur Wechsel, aber hinter dem Wechsel ruht ein Ewiges."
(Goethe)
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V. Zeugnisse der Kunst
Das Gesamtleben der Natur bleibt uns ein gültiger Begriff, trotz-
dem wir es niemals ganz durchschauen werden. Einer der Gründe
dafür ist, daß der Mensch in der Natur nicht als Teil unter Teilen
betrachtet werden darf. Die mittelalterliche Philosophie und Mystik
wußte, wie hoch der Mensch der Natur überlegen sei. Sie nannte
den Menschen das Ebenbild, die Natur dagegen die „Fußstapfen“
Gottes. Der Mensch hat zwar die Natur, die er überhöht, in dem
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Angeführt bei Wilhelm Troll: Goethes morphologische Schriften, Jena o J.,
S. 34.