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soziale Erscheinung auf zweifache Weise betrachten könne: nach
ihrer Entstehung, genetisch, und nach ihrer Bedeutung im sozialen
Leben, funktionell. „Genetisch“ ergab sich die Unehelichkeit aus
physiologischen und psychologischen Bedingungen und darum, so-
fern man diese Bedingungen ursächlich faßt (was ich damals tat),
als eine nach ihrer Ursächlichkeit zu bestimmende Erscheinung;
„funktionell“, nach ihrer „Bedeutung“ im Gesamtzusammenhange
des sozialen Lebens, zeigte sich dagegen die Unehelichkeit in einem
ganz anderen Lichte. Hier ergab sich bei tieferer Ergründung der
Sachlage aufs klarste, daß die „Verrichtung“, sinnvolle „Funktion“,
„Rolle“, „Leistung“ es ist, welche die s o z i a l e n Eigenschaften
der Unehelichkeit, welche sie selbst als s o z i a l e Erscheinung be-
stimmt (zum Beispiel ergab sich eine geringere Erziehungsleistung
der Unehelichkeit, angezeigt durch größere Kriminalität und ge- /
ringere Militärtauglichkeit der ohne Familie Erzogenen). Ich faßte
anfangs zwar noch beide Begriffe kausal, indem ich gemäß der
herrschenden Logik auch die Funktion oder Verrichtung als eine
(kausale) „Auswirkung“ glaubte bestimmen zu müssen. War mir
doch die Überzeugung von der alleinigen Brauchbarkeit des kau-
salen Verfahrens als heilig anerzogen worden. Jedoch erkannte ich
klar, daß jene Unterscheidung des g e n e t i s c h e n Begriffes vom
F u n k t i o n s begriffe für jede soziale und wirtschaftliche Erschei-
nung galt, zum Beispiel auch für Wert und Preis in der Wirtschaft;
und daß daher der physiologisch-psychologische Begriff sozialer
Erscheinungen, zum Beispiel der Unehelichkeit oder des wirtschaft-
lichen Güterwertes, ebenso wie der chemische, physikalische, mathe-
matische Begriff derselben, zum Beispiel einer Maschine oder der
Gütersubstanz, nur genetischer Art sei. So zeigte sich, daß der gene-
tische Begriff grundsätzlich gar keine sozialwissenschaftliche Er-
kenntnis liefere, diese vielmehr allein in den funktionellen Be-
griffen liege! Dadurch wurde ich von dem damals herrschenden
„Psychologismus“ der österreichischen Schule der Volkswirtschafts-
lehre (sie wollte den Güterwert aus der Psychologie der Schätzung,
also genetisch-kausal, erklären) befreit; und indem ich den Unter-
schied von genetischem und Funktionsbegriff unaufhörlich weiter
verfolgte, auf letzteren als auf den arteigenen, tragenden methodi-
schen Begriff aller Gesellschaftswissenschaft immer mehr hinge-
wiesen.