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Andere Studien, die ich trieb, wiesen mich auf die gleichen Fra-
gen und den gleichen Weg. In meinen gesellschaftswissenschaftlichen
Arbeiten hatte ich von Anbeginn erkannt, daß der Unterschied
von I n d i v i d u a l i s m u s und seinem Gegenteil, das ich U n i -
v e r s a l i s m u s nannte (es bestand dafür kaum ein Name, ge-
schweige denn ein ausgebildeter Begriff), daß dieser Unterschied
fälschlich als ein bloß sittlicher und politischer oder als ein solcher
bloß „subjektiver“ Weltanschauung gefaßt wurde, daß er vielmehr
ein Gegensatz zweier rein theoretischer Gesellschafts- / erklärun-
gen sei; damit aber auch ein Gegensatz zweier V e r f a h r e n .
Daß der Individualismus auf Atomismus, Mechanismus und Ursäch-
lichkeit hindränge, der Universalismus auf Ersatz der Ursächlichkeit
und des Mechanischen durch sinnvolle Ganzheit und Gliedhaftig-
keit, war mir zwar anfangs noch unklar. Je mehr ich mich aber in
die lebendige Fülle des universalistischen Gedankens vertiefte und
zugleich dem oben angeführten Gegensatz von genetischem und
Leistungsbegriff in seinen methodischen Folgerungen nachging, um
so mehr verdichteten sich mir alle jene Erkenntnisse zu folgendem
Gedankengang
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.
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Die folgenden Bücher bezeichnen hauptsächlich den Weg, den ich dabei in
der Entwicklung machte: Zur Logik der sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung,
in: Festgaben für Friedrich Julius Neumann zur 70. Wiederkehr seines Geburts-
tages, Tübingen 1905, S. 161 ff. (erstmalige Unterscheidung des g e n e t i -
s c h e n Begriffes oder Wesensbegriffes vom sozialwissenschaftlichen F u n k -
t i o n s begriff); Probleme der Fürsorge, Untersuchungen im Auftrag der Zentrale
für private Fürsorge in Frankfurt a. Main, Bd 2: Untersuchungen über die unehe-
liche Bevölkerung in Frankfurt a. Main, vorgenommen von Othmar Spann, Dres-
den 1905, 2. Aufl., Dresden 1912 (siehe Einleitung: Über die sozialwissenschaft-
liche Begriffsbildung und Methodik: „Wenn nun die Gesellschaft als G a n z e s
v o n T e i l e n zu begreifen ist, so hat die Sozialwissenschaft die menschliche
Handlung... in zweifacher Weise zu betrachten. Einmal... an s i c h und so-
dann als T e i l d e s G a n z e n . . . “ 1. Aufl., S. 4); Der logische Aufbau der
Nationalökonomie und ihr Verhältnis zur Psychologie und zu den Naturwissen-
schaften, Ein methodologischer Versuch, in: Zeitschrift für die gesamte Staats-
wissenschaft, herausgegeben von Karl Bücher, Jg 64, Heft 1, Tübingen 1908, S. 1 ff.;
Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre, 1. Aufl., Leipzig 1911 [25. und 26.
Aufl., Heidelberg 1949, 27. Aufl., Graz 1967, 28. Aufl., Graz 1969, Bd 2 der Ge-
samtausgabe] (erstmalige Entwicklung des Gegensatzes von Individualismus und
Universalismus); Gesellschaftslehre, 1. Aufl., Leipzig 1914 [3. Aufl., Leipzig
1930]; Fundament der Volkswirtschaftslehre, 1. Aufl., Jena 1918 [4. Aufl.,
Jena 1929, 5. Aufl., Graz 1967, Bd 3 der Gesamtausgabe]; Vom Geist der
Volkswirtschaftslehre, Wiener Antrittsrede, Jena 1919, jetzt in: Fundament der
Volkswirtschaftslehre, 4. Aufl., Jena 1929, Anhang, S. 343 ff.; Das Verhältnis