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Die gesellschaftlichen Erscheinungen sind, so sagte ich mir, ent-
weder als aus selbständigen Einzelnen zusammengesetzt zu betrach-
ten — aus selbständigen Menschen, selbständigen Wirt- / schafts-
akten, selbständigen Gütern — die schon vor dem Zusammenset-
zen, vor dem Zusammenhang da sind und dann das Primäre aller
Gesellschaft bilden — der Individualismus; oder die Ganzheit, der
Zusammenhang, die Gegenseitigkeit ist das Primäre und die Einzel-
nen sind nur das Sekundäre, das vom Ganzen Abgeleitete, diese
Ganzheit und Gegenseitigkeit ist daher das die Einzelnen erst Auf-
erweckende, Bildende — der Universalismus. Indem nun der In-
dividualismus die Gesellschaft wie aus Atomen zusammensetzt, ver-
langt er folgerichtig die ursächliche Begriffsweise und drängt zu
physikalisch-mechanischen (atomistischen) Verfahren, zum Beispiel
zum Begriff des Marktes als Zusammentreffen einzelner Wirtschaf-
ter und Wirtschaftsakte, deren „Beziehung“ den ursächlichen Pro-
zeß der Preisbildung ergibt, was dann etwa in dem mechanischen
Gesetz von Angebot und Nachfrage zur Erscheinung kommt, ande-
rerseits zur „mathematischen Methode“ führt, die mit Gleichungen
die Marktvorgänge darstellen will. — Indem aber im Gegensatz
hierzu der Universalismus den sinnvollen Zusammenhang, die
Gegenseitigkeit, kurz die Ganzheit als das Wesenhafte in Wirt-
schaft, Staat und Gesellschaft erblickt, und in jeder Ganzheit nur
sinnvoll bestimmte Teile, zum Beispiel nach Rang, Leistung, Zweck-
mäßigkeit bestimmte, bestehen können, ergab sich immer unab-
weislicher: daß der U n i v e r s a l i s m u s j e d e U r s ä c h -
l i c h k e i t a u s s c h l i e ß e . Von dieser Erkenntnis aus ein neues
Verfahren auszubilden war nicht leicht. Aber mit der D u r c h -
f ü h r u n g
d e s
L e i s t u n g s b e g r i f f e s ergab sich mir
schließlich alles Weitere. Auch das „Zweckhafte“, „Normative“ und
Sinnvolle des Leistungsbegriffes klärte sich später völlig zum Be-
von Ganzem und Teil in der Gesellschaftslehre, Betrachtung zu einer gesell-
schaftswissenschaftlichen Kategorienlehre, in: Zeitschrift für Volkswirtschaft und
Sozialpolitik, herausgegeben von Ernst Plener, Richard Reisch, Othmar Spann
und anderen, Neue Folge Bd I, Wien und Leipzig 1921, S. 477 ff. (Die Kate-
gorien Ebenbildlichkeit, Rang, Leistung, Unberührbarkeit der Teilganzen, Zuar-
tung und Verganzung sind hier zum erstenmal entwickelt.) — Im Sommerseme-
ster 1922 und Sommersemester 1923 trug ich in Vorlesungen über „Soziologische
Kategorienlehre“ zum erstenmal im systematischen Zusammenhang die Gedanken
dieses Buches vor.