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Ganze vor dem unfertigen, genauer: vor den Teilen, die noch nicht

seine volle Ausgeburt darstellen, wie dies der schöne Reimspruch so

eindringlich darlegt: „Vor jedem steht ein Bild — dess’, was er wer-

den soll. — Solang er das nicht ist, — wird nicht sein Friede voll.“

— Die logische Priorität des Vollendeten vor dem Unreifen und

Unfertigen besagt nichts anderes, als was wir wiederholt bei Er-

örterung der Ausgliederung hervorhoben: daß auch in der Zeit das

Ganze bei sich selbst bleibt, sich treu ist und sich behauptet. Darum

hat auch notwendig jene Freiheit des Gliedes, die zur Abweichung

aus der Zeitentwicklung mißbraucht wird, dieselbe Bedeutung wie

der Mißbrauch in der rein systematischen Ausgliederung, nämlich

im rein begrifflichen Verhältnis zur Ganzheit überhaupt, unter Ab-

sehung von Epoche und Entwicklungsbezug. Der Mißbrauch der

Freiheit bedeutet hier wie dort den Weg zur Selbstvernichtung des

Gliedes, den Untergang des Helden. Insoferne gibt es keine Tragik

ohne Schuld, und das vollkommen Heilige und das vollkommen

Heldische ist an sich nicht tragisch.

/

Allerdings ist hiermit der Begriff des Tragischen noch nicht er-

schöpft, da im Widerstreit verschiedener Ganzheiten auch das Hel-

dische tragisch werden kann. Die Schuld liegt hier nicht am Helden

„selbst“, a b e r i n d e r v o n i h m v e r f o c h t e n e n G a n z -

h e i t . (Beispiel: Rüdiger von Bechelaren.)

Überflüssig ist es, nach den früheren Ausführungen noch besonders darzulegen,

daß das vollendete Ganze niemals als „Zweck-U r s a c h e“, „End-U r s a c h e“,

als mechanisch Wirksames in irgendeinem Sinne und damit das Verhältnis des

jetzigen und des Endzustandes als „F i n a

1

k a u s a

1

i t ä t“ aufgefaßt werden

dürfe. Ebensowenig wie das Ganze die Teile ursächlich „erzeugt“, ebensowenig

„erzeugt“ der Endzweck die Mittelzustände oder „wirkt“ an ihrer Fortbildung

zum Beispiel als „Motiv“ mit oder hat er sonst einen ursächlichen Bezug. Was

hier vorliegt, ist die logische Priorität des Ganzen vor dem Glied und nichts

anderes.

Rückblick auf die Weisen der Ausgliederung

1

Es erleichtert die Einsicht in den Gesamtzusammenhang, wenn

wir zum Schluß eine zeichnerische Darstellung der Verzweigung

der einzelnen Kategorien der Ausgliederung geben.

1

Zusatz zur 2. Auflage.

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