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(1)
Das Insichselbstbleiben (trotz der Ausgliederung),
(2)
das Außersichsetzen, Außersichsein oder Ausgliedern.
Einen anschaulichen Ausdruck gibt dieser uralten Wahrheit, die
erst einer materialistischen Zeit entschwinden konnte, der alte
orphische Spruch: „In den A u g e n d e s Z e u s , d e s V a t e r s ,
d e s K ö n i g s , w o h n e n d i e u n s t e r b l i c h e n G ö t t e r
u n d d i e s t e r b l i c h e n M e n s c h e n , a l l e s w a s i s t
u n d w a s s e i n w i r d.“
1
Was geschaffen wird, muß der Schöp-
fer im Auge behalten, es muß in ihm weiterleben, soll es außer ihm
noch zu bestehen vermögen.
Entsprechend zeigt sich derselbe Tatbestand vom Standpunkt des
ausgegliederten Gliedes aus:
(1)
Das Es-selbst-Sein, Mit-sich-einerlei-Sein;
(2)
zugleich das Im-Grunde-Verharren, Befaßtwerden, Rückver-
bundensein oder sich selbst fremd sein.
Alles Ausgegliederte ist nur dadurch denkbar, daß es im Ganzen
beschlossen bleibt, daß es zugleich im Grunde urbildlich bestehen
bleibt; wobei „urbildlich“ nichts Mysteriöses bedeutet, wie an dem
Beispiel von Gedanken und Wort gezeigt wurde. Am tiefsten hat
dieses Meister Eckehart ausgedrückt, bei dem wir die folgenden, be-
deutungsschweren Worte lesen:
„Bruder Eckehart, wann gingt Ihr aus dem Hause?“ — „Immer
war ich darin.“
2
— Und: „Wenn ich dann zurückkomme / in den
Grund und Boden der Gottheit, ihren Strom und Quell, so fragt
mich niemand, woher ich komme oder wo ich gewesen sei: es hat
mich niemand vermißt.“
3
Der Schöpfer hat sein Geheimnis in der Welt niedergelegt, indem
nicht nur die Geschöpfe in Gott rückverbunden sind, vielmehr auch
die Schöpfungen der Geschöpfe wieder in den Geschöpfen, die selbst
schaffen und ihr Geschaffenes in sich tragen, rückverbinden. Alles
vom Eigenleben der Geschöpfe ausgehende Schaffen zeigt wieder
dasselbe Befaßtsein des Gesetzten im Setzenden.
1
Angeführt bei Otto Willmann: Philosophische Propädeutik, Bd 3: Hi-
storische Einführung in die Metaphysik, Freiburg i. Br. 1914, S. 107.
2
Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1857,
S. 181, Zeile 6 [2. unveränderte Aufl., Göttingen 1906] (= Deutsche Mystiker
des vierzehnten Jahrhunderts, Bd 2).
3
Meister Eckehart, Ausgabe Pfeiffer, S. 181.