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Eine eigene Frage, nicht mehr die rein grundsätzliche, die wir
eben behandelten, ist es, welche Wirklichkeit verleihende Art und
Bedeutung das Erkanntwerden für den „Gegenstand“ eigentlich
habe? Geist lebt vom Geiste, Seele von Seele, so sagt uns die Lehre
von der Gezweiung, lebt aber der (erkannte) Stein vom Geiste?
Wenn auch die den Stein u n m i t t e l b a r begründenden Glied-
haftigkeiten nicht im Erkanntwerden vom Menschen liegen, son-
dern im „Steinreich“, in der „Mineralgesellschaft“, so möchte der
Verfasser die wesenschaffende, realisierende Art des Erkanntwer-
dens doch nicht gering einschätzen. Unsere materialistisch erzogenen
Menschen werden lächeln bei dem Gedanken, der hier zu erwägen
ist; aber ganz abzuweisen ist bei näherer Überlegung der Zu-
sammenhang keinesfalls. Auch unser vegetativer Körper lebt ja
nicht geradehin von unserem Geist — aber könnten die vegetati-
ven Kräfte ohne die Befaßtheit unter das Geistige und Seelische im
Menschen wirken und leben? Hier muß die Kategorie der V e r -
m i t t l u n g einsetzen (wie sie ja in der Vermitteltheit der Ge-
zweiung, einer Gezweiung fernerer oder „höherer Ordnung“ not-
wendig liegt). Die Welt ist ein gewaltiger Stufenbau und kein ein-
faches Neben- / einander, das gilt es hier zu bedenken. Und die
Gezweiung selbst hat gleichfalls überall notwendig innere Abstu-
fung, zum Beispiel als Führung und Nachfolge, in sich.
Bedeutsam ist es, daß „erkennen“ verwandt mit „können“ aus indogermanisch
gen-n (*kne, *kno), auch im Sinne von „zeugen“, „entstehen“ in den indoger-
manischen Sprachen gebraucht wird:
γίγνομαι, γυγνώοκοω, γένος
,
lateinisch gi-
gnere, genus, (g)notus, und im Deutschen geradezu im Sinne des Zeugungs-
gi-gnere, i genus, (g)notus, und im Deutschen geradezu im Sinne des Zeugungs-
aktes.
Ein besonderes Augenmerk verdient noch der Punkt, daß im
Erkenntnisvorgang Erkenner und Erkanntes einander nicht unmit-
telbar gegenüberstehen. Denn sonst wäre ja „Wechselwirkung“,
„Beziehung“ möglich, was wir nach der „Unberührbarkeit“ weise-
gemäß leugnen müssen. Vielmehr sind beide in einer höheren
Mitte vereinigt, beide Glieder einer größeren Ganzheit, wodurch
ja auch allein ihre Ebenbildlichkeit möglich ist. In diesem Zusam-
menhang wird abermals verständlich, warum Gesellschaftslehre und
Physik auf verschiedenen Stufen der Erkenntnis stehen. Die Gesell-
schaftslehre erkennt das „Was“ ihres Gegenstandes und v e r s t e h t