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[380/381/382]

Der große dichterische Geist, in dem alle Höhen und / Tiefen der menschlichen

Natur enthalten sind, weiß mehr vom Menschen und der Welt als der geistig

verödete Spießbürger. Dichten ist nicht eine äußerliche Darstellungsgabe, son-

dern eine Wissens- und Schauensgabe; und sie beruht auf der Ebenbildlichkeit,

auf dem, was die Seele in sich hat. Ähnliches gilt vom Philosophen.

„Ebenbildlichkeit verleiht Art“, diese Einsicht ergab sich uns

schon früher

1

. In dem mit der Ebenbildlichkeit notwendig verlie-

henen Wesensgehalt liegt die V e r w a n d t s c h a f t d e s E r -

k e n n e n s m i t d e m E r k a n n t e n , liegt die gegenständ-

lich gleichartige Beschaffenheit beider beschlossen. Der uralte Satz,

der schon in den alten indischen Upanischaden, bei Pythagoras,

Empedokles, Platon, Aristoteles, Plotin und in der mittelalterlichen

Philosophie vorkommt: „Gleiches wird durch Gleiches erkannt“,

erweist sich damit als die Grundlage der Erkenntnistheorie. Die

Frage, wie der Erkenntnis- V o r g a n g einsetzt, ist damit freilich

noch nicht beantwortet. Es ist mit dem Begriff der Ebenbildlichkeit

nur die Grundlage, die ganzheitlich bestimmte Wesensverwandt-

schaft zwischen Erkenner und Erkanntem gegeben. Doch ist dies

von unmittelbarer Bedeutung für den Begriff der Wahrheit. Da

nämlich diese gegenständliche Grundlage bei verschiedenen Wesen

und verschiedenen Menschen verschieden ist, so leuchtet es selbst

ein, daß, obgleich es nur eine Wahrheit gibt, nicht allen Menschen

die Wahrheit gleich erreichbar ist. Das Logische ruht nicht auf sich

selbst, sondern auf dem inneren Gehalt des ganzen Menschen!

Von da aus liegt der Schluß nahe, daß das In-sich-Befassen des

Erkannten durch den Erkenner, also eine aktive Schau (Intuition,

Selbstanschauung des Ganzen) wieder die Grundlage des Erkennt-

nisvorganges bildet, wie es das obige Beispiel des Dichters oder

Philosophen aufzeigt.

II. Erkenntnis und Gezweiung

Ein zweites Bestimmungsstück des Erkennens, das sich kategorial

ergibt, ist die Gezweiung, wenn sie im weiteren Sinn, der Vermit-

teltheit, verstanden wird. Da jedes Ding nur durch Gezweiung und

keines für sich ist, so gilt / dieses Verhältnis notwendig auch für

1

Siehe oben S. 180.