D r i t t e r A b s c h n i t t
Bemerkungen über die Bedeutung des Begriffes der Ganz-
heit für den Begriff der Erkenntnis
„Gleiches wird durch Gleiches er-
kannt.“
(Pythagoras)
I. Ebenbildlichkeit als letzte Grundlage aller Erkenntnis
Jene Seinsweise, die für die Erkenntnistheorie grundlegende Be-
deutung hat, ist die Ebenbildlichkeit. Sieht man davon ab, welcher
Art der Erkenntnis-Vorgang ist, so zeigt sich die Wesensverwandt-
schaft, die Ebenbildlichkeit, als oberste gegenständliche Bedingung
des Erkennens. Ein Wesen kann vom andern nur nach Maßgabe
seiner Ebenbildlichkeit, das heißt des Enthaltenseins in der gleichen
weiteren Ganzheit, wissen. Wir Menschen wissen darum wesenhaft
alles von den uns wesensgleichen Menschen, weniger schon vom
„fremdartigen Charakter“, weniger von Säugetieren, viel weniger
von Pflanzen und so fort. Fassen wir, vom Niederen zum Höheren
aufsteigend, einige Beispiele ins Auge.
Würde einer Muskelzelle in irgendwelchem Sinne Wissen zukommen, so
würde sie vom Muskelleben mehr „wissen“ als vom Nervenleben, sie wüßte
schließlich im weitesten Sinne vom organischen Leben — nach Maßgabe der
Ebenbildlichkeit.
Ein Staatsmann weiß vom Staatsleben gemäß dem Umkreis seiner Stellung
und seines Amtes, das heißt nach Maßgabe jener Ebenbildlichkeit, die mit der
Weise des Teilganzen und der Weise der Einbettung im Stufenbau gegeben ist.
Darum weiß der Minister als mittenahes und lebenswichtiges Hauptorgan mehr
von Staatsdingen als der Beamte im fernen Landstädtchen. — Im gleichen Sinne
gilt: Der Parteivorstand weiß mehr vom Parteileben als der Außenstehende;
der Feldherr mehr von Heer und Krieg als der gemeine Krieger; der Papst mehr
vom Leben der Kirche als der Landpfarrer; der Rechtsgelehrte mehr vom
Rechtsleben als der Laie — immer nach Maßgabe jener Ebenbildlichkeit, die in
der jeweiligen Gliedhaftigkeit zum Ausdruck kommt.
Ein nicht auf der formell erkenntlichen Stellung des Gliedes im Ganzen,
sondern überhaupt auf dem Wesensgehalt beruhendes Beispiel bietet der Dichter.