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chen, welche seit dem Peloponnesischen Krieg zwar keine

Verminderung des äußeren Bestandes ihrer nationalen Gemeinschaft, im

Gegenteil, starke Ausbreitung erfuhren, aber plötzlichem innerem Verfall

anheimfielen, da das griechische Blut sehr stark geschwächt wurde,

während die assimilierten Massen asiatischer Sklaven nachrückten.

Der verschiedene Grad der Teilnahme an der nationalen Gemeinschaft

macht auch die mannigfachen Entnationalisierungsvorgänge verständlich,

wie sie sich in der Geschichte unter sehr verschiedenen Verhältnissen

abspielen. Je passiver eine Menschengruppe an der geistigen Gemeinschaft

der Nation teilnimmt, umso leichter ist es, sie zu entnationalisieren; je

kulturärmer ferner eine Gruppe oder eine ganze Nation ist, um so

schwächer wird die geistige Gemeinschaft sein, die sie bildet, um so

leichter ist sie daher wieder zu entnationalisieren. Barbarische

Völkerschaften sind von Kulturnationen leichter aufzusaugen als Völker,

die selbst eine Kultur haben. Wo an den Sprachgrenzen oder in

mehrsprachigen Staaten entnationalisiert wird, sind es vorzugsweise die

Industriearbeiter und ähnliche Volksschichten der Städte, welche

aufgesogen werden. Das läßt sich in Österreich und Ungarn leicht

beobachten. Solche Volkskreise nehmen eben an ihrer eigenen nationalen

Gemeinschaft nur geringen Anteil, es tut ihrem geistigen Leben wenig

Abbruch, die nationale Gemeinschaft zu wechseln, zumal sie auch an der

neuen Kultur nicht wirklich, sondern nur äußerlich teilnehmen. Hingegen

sind die studierten Berufe immer und überall die eigentlichen Träger der

nationalen Bewegung gewesen. In Wien wird die Assimilierung der

tschechischen Massen erst schwierig, seit tschechische „Intelligenz"

(Beamte) in größerer Zahl vorhanden ist. Daß Bauern hinwieder schwerer

zu entnationalisieren sind, kommt nicht zum mindesten von der Innigkeit

und zähen Wurzelhaftigkeit, mit der sie in ihrer geschlossenen

Vorstellungswelt leben, an ihren Sitten und Gebräuchen festhalten.

Dadurch haben sie größeren Anteil an der nationalen Kultur als

intellektuell höherstehende, aber entwurzelte städtische Volksschichten.

Großen Anteil an den Schwierigkeiten der Entnationalisierung hat freilich

auch die Verkehrsarmut, das heißt die Abgeschlossenheit des bäuerlichen

Lebens nach außen hin, so daß die Eingemeinschaftung in den neuen

nationalen Kreis auch rein technisch wegen der geringen Gelegenheit, den

Landbewohner daran