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die Erscheinung des „Charakters“ eine bestimmte Grundrichtung der
psychischen Beschaffenheit der Individuen, noch deutlicher zeigt es der
innere Drang zur Systembildung, das heißt zur strengsten
Vereinheitlichung
des
gesamten
intellektuell-sittlich-religiösen
Weltbildes. Daher weist auch in der Geschichte jede nationale Kultur eine
einheitliche Art auf. Die indische, griechische, römische, deutsche,
romanische Kulturwelt besitzt einen bestimmten, einheitlichen Stil, das ist
ein Abgestimmtsein auf Einen beherrschenden Grundzug, auf einen
einheitlichen Zusammenhang.
Die E i n h e i t d e r n a t i o n a l e n G e m e i n s c h a f t l i e g t
s o m i t i n d e r i n n e r e n o r g a n i s c h e n E i n h e i t d e r
K u l t u r g e m e i n s c h a f t e n . Es wäre falsch, diese letztere Einheit
analytisch bloß auf Grund der Gegenüberstellung der zwei Teilkräfte
menschlichen Tuns: — Anlage — Umwelt suchen zu wollen; denn dann
hängt vom empirischen Einfluß der Umwelt allzuviel ab, und die „Einheit“
wird als eine Frage historischer und geographischer Umstände, höchst
zweifelhaft. Das trifft aber nur auf Wirtschaft, Technik,
Organisationsformen, kurz die äußere Zivilisationssphäre des
menschlichen Daseins zu; nicht aber auf die innere Eigenart und die letzte
Einheit der Kultur. Im Hinblick auf sie ist „Anlage“ nicht psychologistisch,
das heißt nach der Summe einzelner Fähigkeiten zu fassen, sondern in
ihrer v e r n ü n f t i g e n , also auf logische Einheit des gesamten
Bewußtseinskreises gehenden E i n h e i t zu verstehen; und die „Umwelt“
erscheint ebenso wenig als Summe einzelner Reize und Beschaffenheiten,
sondern als Kosmos, das heißt als Ganzes, das immer und überall die
Eigenschaft hat, uns als vergängliche Wesen in sich zu schließen, und so
den letzten Grund zur Philosophie, Metaphysik (Religion), Moral und
auch der Kunst legt.
Die empirische Einheit des Kulturzusammenhanges ist nun, wie schon
erwähnt, empirisch immer lückenhaft. Nicht jeder Inder war von
philosophischen Gedanken, nicht jeder Grieche von der formenden Kraft
des Künstlers beseelt. Zwar ist die griechische Philosophie im ganzen
gestalteter als die aller anderen Nationen (Platon!), die indische Dichtung
die ungestaltetste von allen; aber nicht jede einzelne Lebensäußerung
beider Kulturen, nur die großen Linien zeigen den Zusammenhang.
D a h e r i s t d e r B e g r i f f d e r