26
[19/20]
den wie Vergehen ja notwendig Nichtsein in sich haben. (Denn in-
dem etwas „wird“, vergeht eine Eigenschaft, die vorher war; indem
das Eisen heiß wird, vergeht die Kälte, ist also nicht mehr.) Mit den
Sinnen erkennt man Werden, Veränderung, mit dem Denken aber
erkennt man, daß die Veränderung Täuschung, Schein ist, denn das
Nichtseiende kann weder erkannt noch ausgesprochen werden. —
Noch entscheidender ist der weitere, aus dem Vorigen folgende Ge-
danke: Ist Veränderung undenkbar, dann ist das Seiende nie ent-
standen, ist ungeworden. W e n n e i n S e i e n d e s e n t s t e -
h e n , a l s o w e r d e n s o l l , s o m u ß e s f r ü h e r e n t w e -
d e r s c h o n g e w e s e n o d e r n i c h t g e w e s e n s e i n .
W a r e s s c h o n f r ü h e r , s o b r a u c h t e e s n i c h t z u
e n t s t e h e n ; w a r e s a b e r n i c h t , s o k a n n e s n i c h t
e n t s t e h e n ; denn aus etwas, was nicht ist, kann auch nichts
hervor- / gehen. Aus nichts wird nichts, ex nihilo nihil fit
1
. —
Das Sein ist daher ungeboren, unveränderlich, unbeweglich, unteil-
bar, kontinuierlich (homogen, daher sinnbildlich einer Kugel ver-
glichen), „als Selbiges im Selbigen verharrend“
2
. — Z e n o n lehrte,
daß nur das Eine sei, daß aber das Viele unmöglich sei. Denn es
müßte zugleich unendlich und endlich sein: da die letzten Teilchen
unendlich klein, das ist größelos sind, so kann ihre Summierung
keine Größe ergeben; da die letzten Teilchen, um existieren zu
können, doch wieder eine Größe haben müssen und ihrer unendlich
viele sind, so müssen sie unendlich groß sein
3
. Zenon erklärt ins-
besondere die Bewegung für unmöglich. Der fliegende Pfeil ruht,
denn er ist in jedem Zeitpunkt nur an e i n e m Orte und niemals
an zweien; ist er somit in jedem Augenblicke ruhend (= an einem
Orte), so ist er es auch in der Summe aller Augenblicke. Achilleus
kann die Schildkröte nicht einholen, weil jedesmal, wenn er an den
Punkt kommt, den sie einnahm, die Schildkröte mittlerweile eine
Strecke weiter kam. Diese Strecke wird zwar immer kleiner, aber
1
Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin 1922, Fragment 8;
desgleichen Melissos, Fragment 1. — Wir heben diesen Gedanken hervor, da wir
wiederholt auf ihn zurückkommen.
2
Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Fragment 8. — Auch
dieser Seinsbegriff ist m y s t i s c h zu verstehen, doch liegt es nicht am Wege
unserer Untersuchung, diese Frage zu behandeln.
3
Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Fragment 1 und 2.