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[21/22/23]

Wie der logische Widerspruch A = Non-A, wie dieses A und Non-A als das

Widersprechende im Werden aufzulösen sei, können wir bei H e r a k l i t selbst

ahnen, s e i n e S c h ü l e r erst (Kratylos) machten den Widerspruch zum

Grundsatze und wurden Relativisten, Skeptiker. / Bei Heraklit selbst ist die Ver-

änderungslehre noch überhöht durch den Begriff des L o g o s (Weltgesetz,

Weltvernunft), der W e l t s e e l e , d i e a l s „ W e l t f e u e r “ bezeichnet wird,

und der „ g e g e n s t r e b i g e n V e r e i n i g u n g “ , die in Gestalt des Bogens

und der Lyra versinnbildlicht wird, wo die Gegensätze (Sehne — Bogenarme; Sai-

ten—Steg) ein sinnvolles Ganzes ergeben

1

. — Wenn Heraklit als bloßer Relati-

vist aufgefaßt wird, so verkennt man den durchaus m y s t i s c h e n Untergrund

seiner Lehre. Jedoch liegt dies abseits unserer Untersuchungen. Wir halten uns

hier an den rein relativistischen Werdensbegriff seiner Schule, von dem Platon

und Aristoteles geschichtlich ausgingen.

Die beiden Standpunkte in der Form, wie sie eben entwickelt

wurden, sind unversöhnlich. Dennoch haben beide unleugbar eine

Wahrheit in sich, da einerseits die Erfahrung tatsächlich nur Werden

zeigt, andererseits das in sich beschlossene Sein tatsächlich nicht ent-

stehend, noch sich verändernd gedacht werden kann. — Geht man

vom heraklitischen Denken aus, so ist das ruhende Sein unableitbar

(denn Werden kann nicht aufhören, ruhendes Sein kann es nicht

geben); geht man vom eleatischen Denken aus, so ist das Werden

unableitbar. Die heraklitische Ansicht endet in roher Erfahrungs-

lehre, in Naturalismus, Relativismus, Sensualismus; die eleatische

Ansicht wieder endet in schlechter Übersinnlichkeitslehre, da sie

Sinnlichkeit, Erfahrung, Vielheit und Bewegung für Trug erklärt,

die Welt verneint.

Soll die Philosophie nicht in Zweifel und Erfahrungslehre unter-

gehen, so muß sie das W e r d e n d e n k b a r m a c h e n

u n d d a s S e i n a l s G r u n d d e s W e r d e n s v e r s t e h e n

l e h r e n . Sie muß Heraklit ebenso wie die Eleaten zugleich über-

winden und in sich aufnehmen, ihre Wahrheit gelten lassen und

doch die / Einheit hersteilen. Hiermit war die Aufgabe Platons

und Aristoteles’ vorgezeichnet.

Platon suchte durch den Begriff der Idee (

ίδέα, είδος, γένος)

den

ontologischen Widerspruch von Sein und Werden zu lösen. Er stellte

die Idee als das Reich des reinen, unveränderlichen Seins, dem Wer-

1

Vgl. dazu — in Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin

1922 — die Fragmente 2 (Teilnahme des Menschen am göttlichen Denken), 51

(Bogen und Lyra), 103 (Gott geht in der Welt nicht unter), 112, 114, 45 und

andere. — Dagegen allerdings auch: 124 (die Weltordnung ein aufs Geratewohl

hingeschütteter Kehrichthaufen), 52 und andere.